Actrice und Aktionistin im Zeichen des Feminismus, Performance-Künstlerin, Schriftstellerin bzw. Dichterin, Spoken-Word-Instanz und nicht zuletzt Musikerin … Das alles ist Lydia Lunch im Laufe ihrer langen Karriere gewesen oder nach wie vor, wobei sie die Schwerpunkte unterschiedlich stark setzt und nie alles Gold war, was glänzte. Diese Bewertung darf man auch auf ihr neues Album beziehen, dessen Impulse die Vita des illustren Marquis de Sade gegeben hat.
"Marchesa" stößt jetzt nicht unbedingt vor den Kopf, denn immerhin ist man so einiges von der New Yorkerin gewohnt, bleibt aber dennoch - und wie fast zu erwarten angesichts der Tatsache, dass die meisten Solosachen der Protagonistin anstrengen - über weite Strecken ungenießbar. Als Indie-Queen im Umfeld anderer Künstler, seien es Einstürzende Neubauten oder wie vor nicht allzu langer Zeit Big Sexy Noise, macht Lunch eine ungleich bessere Figur, denn ganz ehrlich: unbändige Kreativität ist eine Sache, Begabung und Fähigkeit zu Umsetzung musikalischer Ideen eine andere.
Obwohl "Marchesa" zusammen mit dem Klangdesigner Stefano Rossello realisiert wurde, gehört es zu den sperrigsten Werken der immerzu kontroversen Dame. Drones, unendlich lang ausschwingende Gitarrensaiten - meistens einzeln angeschlagen - und weiß Gott welche Soundquellen, die bis zum Gehtnichtmehr verfremdet wurden, bieten Lunch ein knapp halbstündiges Fundament für ihre lyrischen Ergüsse, die sich vage auf die sprachlichen Fieberträume des berüchtigten Franzosen beziehen.
In 'Defiant Existence' sind es Kratzgeräusche und simuliertes Tröpfeln von was auch immer, anderswo recht typisches Ambient-Rauschen oder kurzzeitige Stille als Stilmittel. Das Ganze wirkt improvisiert und nicht unbedingt mit Liebe, geschweige denn besonderer Inspiration aufgezogen; die 'Polyphony' erweist sich stellenweise als Kakophonie aus enervierendem Electro-Noise, und dies in gleicher Weise, wie der Synthesizer summende Fliegen zu emulieren scheint, die den Hörer nicht in Ruhe lassen möchten.
Kurzum, abseits des Narrativs wirkt "Marchesa" wie akustische Folter und bewegt sich nirgendwohin - kein Spannungsbogen, kein Anfang und kein Ende, keine Läuterung nach so viel Missempfinden. Nun gut, was Lunch so mit ihrer Krümelmonster-Stimme erzählt, mag für literarisch Interessierte, die metaphorische Sprache und Gedankenstrom-Texte schätzen, durchaus hörenswert sein, doch wer sich Musik wünscht, darf dankend hierauf verzichten.
FAZIT: "Marchesa" ist wenig mehr als ein zu anspruchsvoller Kunst aufgebauschtes Hörspiel ohne Handlung, ein Wust aus statischen Sounds und dem Gebrabbel einer alten Frau. Sicherlich wird das Feuilleton eine Menge Hochtrabendes dazu schreiben, aber wir sagen an dieser Stelle frech die Wahrheit: Der Kaiser ist nackt. <img src="http://vg06.met.vgwort.de/na/f972318febe344daa5eb2fac1f97cb66" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 3/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 18.10.2018
Rustblade / Broken Silence
35:27
19.10.2018