Nach seinem nunmehr 4. Album ist oder wird eins immer klarer: Bei MARIUS TILLY weiß man musikalisch wie textlich nicht (mehr), was einen bei dessen unergründlichen Musik-Reisen erwartet. Denn während Tilly auf seinen beiden ersten Alben noch verstärkt den geradlinigen Blues-Rocker aus dem Ruhrpott raushängen ließ, verblüffte er auf seinem dritten, nunmehr Indie-Rock-Album <a href="http://musikreviews.de/reviews/2017/Marius-Tilly/Nebula-Rising/" rel="nofollow">„Nebula Rising“</a> mit – wie unser Kollege Schiffmann anschaulich feststellte – treibenden Hymnen, eingängigen Melodien, stampfenden Rhythmen und einem „Space-Rock-Ausreißer“, was zu dem Fazit führte, dass „die erstaunlich knappen und dennoch nichts missen lassenden Stücke des wunderbaren Albums“ eine ganz große Leistung waren.
Nunmehr setzt MARIUS TILLY diese wunderbare Leistung unter ähnlichen Prämissen auf „Words From The Wilderness“ fort und wagt dabei trotzdem erneut einen Richtungswechsel, der sich diesmal zwischen intensivem Singer/Songwriter-Stoff, psychedelischen Ideen und deutlicher Retro-Rock-Affinität bewegt, ohne jemals zu verleugnen, womit die musikalische Tilly-Laufbahn begann.
Noch dazu fiel textlich ein Album von Tilly noch nie dermaßen kritisch aus oder ließ ein ungewohnt schlüssiges, gesellschaftskritisches Konzept wie auf „Words From The Wilderness“ erkennen.
„The Worlds End“ stellt so gleich zu Beginn der CD klar: „Now, we shout out loud: / ‚We better get out of here!‘“ - und warum wir uns von hier verdrücken sollten, erfahren wir in den gut 40 abwechslungsreichen Minuten von „Words From The Wilderniss“ sehr anschau- und anhörlich, sodass bereits nach dem ersten Hördurchgang dieses „anderen Tilly-Albums“ sich einem die Frage aufdrängt, was wohl der Grund für diese neue stilistische Ausrichtung sein könnte.
Zum Glück entdeckt man dann unter der Homepage von MARIUS TILLY eine sehr aufschlussreiche Antwort: „Der Eindruck mag damit zusammenhängen, dass ich vor einiger Zeit NICK CAVE und seine unorthodoxe Art, Musik zu machen, für mich entdeckt habe. Auf dem neuen Album haben oft die Texte den Ausgangspunkt gebildet. ‚Words Of The Wilderness‘ ist auch die erste Platte, auf der ich etwas gesellschaftskritischer werde.“
Diese „Etwas“ ist leicht untertrieben, denn Tilly geht sehr kritisch in seinen Texten mit dem alltägliche Scheiß unserer Zeit um – und nun wissen wir auch, in welche Richtung „Words From The Wilderness“ sich bewegt – in die unorthodoxe, von einem Cave geprägte und zugleich mutig-tiefgründige, die vor keinem Stilbruch Angst hat. Musik, wie sie in den 70ern Geschichte schrieb, als Liedermacher den Rock für sich entdeckten und darin textlich wie musikalisch austobten. Ähnlich eben, wie ein NICK CAVE sich zwischen den BAD SEEDS und GRINDERMAN bewegt.
Aber auch Tillys Gespür für ganz große, diesmal hardrockige Melodien lässt mal wieder gehörig aufhorchen und in rhythmische Zuckungen verfallen, wenn er auf <a href="https://www.youtube.com/watch?v=8mu0MSkq4Ko" rel="nofollow">„Back On Track“</a> verkündet, dass man gefälligst den Arsch bewegen und auf die Füße kommen soll, wenn die Flut steigt, weil sich dieses Gefühl richtig gut anspürt. Oder die herrlichen „In-A-Gadda-Da-Vida“-Parallelen auf „Sold Out“: „Gotta get into gadda-da-Vida“.
Auf „Words From The Wilderness“ kommen MARIUS TILLY, wie gewohnt, seine starken kompositorische Qualitäten, das musikalische Können, der Reiz an stilistischen Brüchen und seine ausdrucksvolle Stimme voll und ganz zugute sowie erstmals auch sein großartiges Talent als Texter. Dieses Album muss oder sollte zuerst mit dem dicken Booklet in der Hand, das man zu einem Poster entfalten kann, gehört werden, um die Texte darauf mitzulesen und auf so eindrucksvolle Zeilen wie: „Like a bird on a wire, in a cage instead a home, you start to grow“ (Oha, bei „Are You Ready To Go?“ stand doch eindeutig Mr. LEONARD COHEN Pate!) oder „Hate to say it, we‘ll do the necessary / We‘ll smash like a hammer, all your / Prayers are in vain“ („War“), zu stoßen. Solche „Worte der Wildnis“ sind kaum zu überbieten und die Musik dazu, die zwischen aggressiv rockend und zarter Zerbrechlichkeit alles zu bieten hat, ebenso nicht.
FAZIT: MARIUS TILLY erweist sich auf seinem leider nur knapp 40 Minuten langen 4. Album „Words From The Wilderness“ mal als knallharter Rocker, dann wieder zerbrechlich wirkender Songwriter, der geschickt mit den unterschiedlichsten Klangwelten des Funk, Blues, Psyche und gar Punk jongliert, wobei er bisher noch nie solch immensen Wert auf seine Texte, die ungemein gesellschaftskritisch ausgefallen sind, gelegt hat. Der Rocker aus dem Ruhrpott ist eben immer für (nicht nur) eine Überraschung gut.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 29.01.2018
Benjamin Oppermann
Marius Tilly
Marius Tilly
Benjamin Oppermann
Hans Jakob Schüler
MIG Music/Indigo
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26.01.2018