Mary Gauthiers Lebenslauf bietet sich für ein Künstler-Bio-Pic geradezu an. Zur Adoption freigegeben, wird sie als Einjährige von einem katholischen Paar adoptiert. Mit fünfzehn reißt Gauthier von daheim aus, lebt als Straßenkind und beginnt eine innige Beziehung zu Drogen und Alkohol. Knastaufenthalte und Entziehungskuren inklusive. Sie schafft den Absprung, studiert erst Philosophie, dann das Kochhandwerk. Eröffnet das Restaurant Dixie Kitchen (mit Cajun-Küche), das für über ein Jahrzehnt erfolgreich läuft.
1990 wird sie betrunken am Steuer erwischt und verhaftet. Danach entschließt sie sich, endgültig trocken zu werden. Hilfsmittel dabei: Songs schreiben und musizieren. 1997 erscheint ihr Debüt, benannt nach dem eigenen Restaurant „Dixie Kitchen“. Zu diesem Zeitpunkt ist Mary Gauthier 35 Jahre alt. Das Album mit einem gekonnten Mix aus Country, Folk und Americana wird ein hochgelobter Erfolg. Der „Folker“ schreibt online, dass Gauthier glaubwürdig "Lieder über Tunten in Limousinen, Nonnen in Jeans und philosophierende Trinker" präsentiere.
Sie bleibt Musikerin, kann davon leben und veröffentlicht regelmäßig neue Alben, bei denen der Country-Aspekt zugunsten des Folk und eines dezenten Rockgestuses einstweilen etwas in den Hintergrund rückt. Obwohl sie mittlerweile in Nashville, im Country & Western-Eldorado, lebt, verkaufen sich Gauthiers Alben nach eigenem Bekunden in Europa (explizit in den Niederlanden) besser als in den USA. Thematisch, abgesehen von autobiographischen Einblicken, ist sie dennoch tief im Herzen der amerikanischen Finsternis beheimatet.
So auch bei ihrem aktuellen Output „Rifles & Rosary Beads“. Die Pole, zwischen denen sich Militärangehörige in der Heimat, fernab vom kasernierten Alltag oder nach der Rückkehr aus Kriegsgebieten, befinden. Mary Gauthier schildert die Ansichten und (mentalen) Beschaffenheiten von Heimkehrern, mental und körperlich versehrten sowie aktiven Militärangehörigen. Für eine gehörige Portion Authentizität sorgt die Zusammenarbeit mit Beteiligten des „SongwritingWith: Soldiers“-Programms.
Im Zentrum der Songs stehen Verständigungsschwierigkeiten zwischen (ehemaligen) Soldaten und ihren Angehörigen, die (Nicht)bewältigung von Traumata sowie alte Problem, dass Verhaltensweisen, die im Krieg als gut und notwendig deklariert werden, daheim im Alltag falsch und negativ konnotiert sind. Aber auch Opferbereitschaft spielt eine Rolle, das Leben von Kameraden unter Umständen höher einzuschätzen als das eigene. Mary Gauthier fährt wütende Attacken gegen den Krieg als zerstörerische Wesenheit, nicht gegen die Menschen, die in die Konflikte aktiv oder passiv verwickelt sind.
„Howling sunset bombs
In a stranger’s memory
Yellow smoke orange haze
It’s all coming back to me“
Prägendes Instrument des Albums ist die akustische Gitarre, doch gleich im Opener schraubt sich die bedächtige Lagerfeuer-Melodie (die zu Beginn eine ganz leichte Ähnlichkeit mit „Hymn“ von BARCLEY JAMES HARVEST besitzt) in elektrifizierte Höhen hinauf, instrumental zuvor um Fiddle, Drums und Piano erweitert. „Soldiering On“ besitzt die Wucht und Klasse eines NEIL YOUNG & CRAZY HORSE-Straßenfegers. Ähnlich sieht es bei den restlichen Stücken aus. Manchmal rückt der Country-Aspekt, auch dank der gern eingesetzten Lap Steel, etwas in den Vordergrund („The War After the War“), an anderen Stellen dominieren Folk, Slow-Blues und Rock. Gerade beim Einsatz der letzten beiden Aspekte erinnert Mary Gauthiers Musik an die vorzüglichen COWBOY JUNKIES, wobei Gauthiers Stimmlage eine ganz andere, tiefere als die von Margot Timmins ist („Still On The Ride“).
Gauthier besitzt die Fähigkeit ihre nachdenklichen, kritischen Texte mit einprägsamen, innigen und mitreißenden Melodien zu versehen. Drums und Bass sorgen für filigrane, aber nachdrückliche rhythmische Begleitung. Für erweiterte sehnsuchtsvolle Akzente sorgt gelegentlich der Einsatz einer Mundharmonika. Der Klang des Albums ist klar, aber von erdverbundener Wärme. Gegen Ende des Werks werden die Songs etwas gleichförmiger, ohne in langatmiger Beliebigkeit zu versinken. Die Höhepunkte überwiegen eh.
FAZIT: : „Rifles & Rosary Beads“ bietet exzellentes Americana-Flair, die Musik ist wohl austariert zwischen Country, Blues, Folk und gedämpftem Rock zu nachdenklichen Texten. Besonders in der ersten Hälfte gelingen Mary Gauthier und ihren Mitstreitern einige Songs, die das Zeug zu künftigen Klassikern haben („Soldiering On“, „Still On The Ride“ und besonders das drangvolle „Bullet Holes In The Sky“).
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 26.01.2018
Mary Gauthier
Mary Gauthier
In The Black Records/Thirty Tigers/Alive
44:56
26.01.2018