Lange vor seinem Plattenvertrag bei den findigen Spürhunden von Blood Music war Vittorio D'Amore bzw. Victor Love (My Sixth Shadow, Dope Stars Inc.) ein typisches Bandcamp-Phänomen, dessen Schaffen - Chiptune, der nach Metal klingt, oder umgekehrt - mit einer eingeschworenen Fangemeinde, die der Italiener nun mit seiner ersten Label-Veröffentlichung voraussichtlich ausbauen wird.
Warum? Teilweise dank des erstmaligen Einsatzes von Gesang, obgleich der behifliche Franzose Öxxö Xööx alias Laurent Lunoir (Rïcïnn, Igorrr) auf eine Fantasiesprache zurückgreift, die er in seinen eigenen Projekten etabliert hat. Ansonsten ändert sich für Eingeweihte wenig bei MASTER BOOT RECORD: Virtuose Synthesizer-Eskapaden, die in einer gewöhnlichen Band die Gitarristen übernehmen würden, genauso wie die knallharten Riffs in tiefen Registern, zeichnen jeden der auf "Direct Memory" enthaltenen Songs aus. Im Ergebnis steht euphorisierender Uptempo-"Metal" aus der Retorte mit Gassenhauer-Potenzial, denn Herr Love hat ein gutes Gespür für eingängige Melodien, auch wenn man sich an die schroffe Klangkulisse gewöhnen muss.
Der kalte Sound ist logischerweise den elektronischen Klangerzeugern und der exzentrischen Stimme des Gastsängers geschuldet, auf dessen Gebrabbel man sich keinen Reim machen kann und vermutlich auch nicht soll. "Direct Memory Access" drückt sozusagen die Entfremdung des Menschen von seinen eigenen technischen Errungenschaften aus, mutet merkwürdig emotionslos an und nimmt dennoch für sich ein, einfach weil die Kompositionen nicht nur abwechslungsreich gestaltet sind, soondern auch relativ mühelos ins Ohr gehen.
Die Anspieltipps kommen sogar erst in der zweiten Hälfte der Scheibe, beginnend mit dem brutal düstere Siebenminüter 'DMA 4 Cascade' und endend mit dem rein instrumentalen 'DMA Sound Card 16 Bit', einem flirrenden Gegenpart zur '8 Bit'-Variante.
FAZIT: Was der Schöpfer "Cypher Metal" nennt, entpuppt sich für all jene, die MASTER BOOT RECORD noch nicht kennen, als stilistisch wie spielerisch fesselnde Mischung aus Metal-Kompositorik und Electro-Klangästhetik. "Direct Memory Access" macht vorstellbar, wie Gitarrenmusik von künstlicher Intellegenz rezipiert klingen könnte, und stellt eine Zukunft in Aussicht, die noch diskussionswürdiger ist als die Synth-Unterwanderung der Metal-Szene im Kleinen. <img src="http://vg08.met.vgwort.de/na/356a06a82a2a40598fc763de5191c543" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 18.04.2018
Blood Music / Soulfood
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20.04.2018