So unbekümmert klang Seattle schon lange nicht mehr. Obgleich NAKED GIANTS keine Grunge-Kapelle im eigentlichen (Spätachtziger-, Frühneunziger-)Sinn sind, vermittelt sie die Zwanglosigkeit und Aufbruchsstimmung der Pioniere jenes Stils, die letzten Endes doch keinen kommerziellen Ruhm erfuhren. Den heimsten andere, glattere Versionen jener zu Beginn noch tatsächlichen Alternative zu Glam und Haarspray ein …
Wie dem auch sei, "Sluff" (u.a. die Abkürzung für "South Lake Union Fuck Face", die abfällige Bezeichnung für in jüngeren Jahren emporgekommene Technik-Yuppies in der Heimatstadt der Musiker) klingt ungefähr so, wie das Cover des Albums aussieht - schnoddrig bis nachgerade respektlos, bunt und auch ein bisschen albern.
Der Videotrack 'Everybody Thinks' verkörpert die Schönheit im Schlichten im Grunde genauso frech wie die größten Nirvana-Gassenhauer, auch wenn NAKED GIANTS ideell und stilistisch nur wenig mit Cobain und Co. gemein haben. Zufälligerweise wurde "Sluff" gemeinsam mit deren und Soundgardens Produzent Steve Fisk aufgenommen, der vermutlich einen gewissen Anteil daran hat, dass die scheinbar unvereinbaren, widersprüchlichen Einfälle der Protagonisten am Ende nicht zerfaserten.
Gitarrist Grant Mullen und Bassist Gianni Aiello leiern sich inmitten des grellen Treibens der beiden 'Goldfish'-Sonderbarkeiten oder der Single 'TV' einige verboten eingängigen Gesangslinien aus den Stimmbändern, während das vom Producer gespielte Mellotron und der anheimelnde Gastgesang von Celestine Ocean weitere Farben auftupfen; fühlt man sich davon als Hörer überfordert? Nein, denn irgendwie - vermutlich wegen ihres Händchens für griffige Hooklines - erwecken NAKED GIANTS nie den Eindruck, es nicht ernst zu meinen.
So jung wie heute werden die Mitglieder morgen nicht mehr sein, doch die Spiel- und Experimentierfreude, die man auf "Sluff" hört, ist einer Konservierung auf Tonträger würdig gewesen - "left of field"-Hits im besten Sinn, famoses Songwriting am Rande des Nicht-Aufgehens … aber eben nur am Rande.
FAZIT: Mit diesem ersten Album beweisen NAKED GIANTS nach ihrem 2016er Kurzformat "R.I.P.", dass sie auch die "Langform" beherrschen, ohne zu langweilen. Wiewohl "Sluff" vertraute Klänge subsummiert, macht deren Mischung ein gewisses Etwas aus, das jedermann eines Besseren belehren dürfte, der Alternative Rock heuer als Synonym für gesichtslose Mainstream-Gleichschaltung hält. <img src="http://vg06.met.vgwort.de/na/5fa76cbc90d34934aab99c673e8f7177" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.03.2018
New West
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30.03.2018