Altmeister Neil Young ist in den letzten paar Jahren dazu übergegangen, Repertoirepflege zu betreiben, wobei er größeren Wert darauf legt, digitale Formate seiner Musik mit einem Sound zu veröffentlichen, der für den Menschen, wie er selbst behauptet, im Gegensatz zu herkömmlichen MP3s nicht "ungesund" sei. Von diesem esoterischen Popanz abgesehen handelt es sich bei "Songs For Judy" um die erste Veröffentlichung von Youngs eigenem Label Shakey Pictures Records, das wiederum dem Major Reprise untersteht.
Das Material wurde ohne den gängigen Rock- bzw. Band-Instrumentenpark dargeboten, während einer Solo-Tournee des exzentrischen Künstlers im Jahr 1976 mitgeschnitten und enthält in Form von 'No One Seems to Know' nur eine Komposition relativ exklusiver Art, obgleich Eingeweihte das Ding bereits von diversen Bootlegs kennen dürften. Wer online die regelmäßigen Updates der Neil Young Archives mitverfolgt, weiß bereits, dass die Kuratoren der Zusammenstellung - Regisseur Cameron Crowe und Joel Bernstein - auf der Webseite ergänzende Kommentare dazu abgeben.
Klanglich ist diese umfangreiche Nabelschau eine bewusst roh belassene Angelegenheit. Der Sound unterscheidet sich von Ort zu Ort nicht wesentlich, und die Atmosphäre des jeweiligen Augenblicks steht im Vordergrund. Das Publikum kommt deutlich hörbar zur Geltung, auch wenn es nie von der Musik an sich ablenkt, und der Künstler erweist sich oft als außerordentlich gesprächig, so wie man ihn gemeinhin eher nicht kennt.
Gut möglich, dass er sich seinerzeit über die Abwechslung freute, die ein eher intimes Konzertambiente bietet. Schließlich stammen die Einspielungen aus unterschiedlichen amerikanischen Städten, die Young seinerzeit schon kurz vorher mit seiner Kapelle Crazy Horse beschallt hatte, und fungieren gewissermaßen als Counterpart zu (Bootleg-)Mitschnitten jener früheren Tournee. So gesehen ist "Songs For Judy" besonders für Historiker in Sachen Neil Young ein Juwel.
Der Rest der Hörerschaft kommt dank ergreifender Klavier-Versionen von 'After The Gold Rush', 'A Man Needs A Maid' und 'Journey Through The Past' in einer richtiggehend virtuosen Darbietung auf seine emotionalen Kosten. Das ausladende 'Sugar Mountain' zum Schluss und das kurze 'The Needle And The Damage Done' stehen einander als proggige bzw. kompakte Geschwister gegenüber, wobei sich Young aber generell häufig Freiräume zum Improvisieren gewährt.
FAZIT: "Songs For Judy" dokumentiert auf umfassende Art eine frühe Phase von Young als Solokünstler und wartet nicht mit den üblichen verdächtigen Songs auf. Ein Teil davon fristete nach ihrer Aufführung in diesem Rahmen immerhin jahrelang ein Schattendasein in Neils Setlist, und wer zu schätzen weiß, wenn an einem Live-Album praktisch nichts nachbearbeitet wird, stößt hier auf Gold. <img src="http://vg06.met.vgwort.de/na/1764ef9738a6434fb127029ac7407c4a" width="1" height="1" alt="">
Erschienen auf www.musikreviews.de am 30.11.2018
Shakey Pictures /-Reprise / Warner
60:32
30.11.2018