Im Augenblick betreiben NEW MODEL ARMY Repertoirepflege bzw. rekapitulieren ihr umfangreiches Schaffen, wobei ihr Schaffensdrang trotzdem ungebrochen zu bleiben scheint. Nach der dokumentarischen Aufarbeitung der Historie der Gruppe folgt nun die Nachlese auf eine an zwei aufeinanderfolgenden Abenden abgewickelte Akustik-Performance im April 2018, die in der 1871 erbauten Round Chapel im Londoner Bezirk Hackney stattfand.
die alte Kirche, die heute als Einrichtung für kulturelle Events, fungiert, bot ein ideales Ambiente für einen außergewöhnlichen Anlassen wie diesen, denn NEW MODEL ARMY spielten knapp 50 Songs aus ihrem gesamten Repertoire und überließen das Singen größtenteils dem Publikum. das beim Einlass Textblätter gereicht bekam. Die Schlüsselzeile der eröffnenden 'Ballad Of Bodmin Pill' ("How we dance with the fire ´cause it’s all that we know") fasste praktisch zusammen, worum es an diesem Abend ging - das gemeinsame Zelebrieren von Musik in ihrer ursprünglichsten Form, dem Gesang.
Es ging um gemeinsames Singen als fundamentale, simpelste Art des künstlerischen Ausdrucks und Teilens von Gefühlen, die Menschen ungeachtet ihrer Herkunft vereinen. Die Musik von NEW MODEL ARMY - einer Band, die von jeher einen und nicht spalten wollte - eignet sich dazu vermutlich so gut wie kaum eine andere. Zur Nachlese lässt sie sich nicht lumpen und spendiert insgesamt 28 Songs der Freitags- und Samstags-Konzerte (13. und 14.4.2018), wobei verblüffenderweise der Über-Hit '“I Love The World' fehlte, aber alles vom aktuellen 'Winter' über das wuchtige 'Poison Street' bis zu 'Bad Old World' geboten wurde, das hier den Rahmen von acht Minuten sprengte.
NEW MODEL ARMY profitierten von der natürlichen Akustik des Rundbaus, statt schwere P.A.-Geschütze aufzufahren, wodurch die Gigs eine unheimlich intime Atmosphäre erhielten, erzeugt einzig von den prägnanten Melodien, die ihre Songs auszeichnen, und Justin Sullivans Texten. Der Sänger ließ sich selbst umringt von Fans, die teilweise von weither angereist waren, nicht die Butter vom Brot nehmen, und spielt sein Charisma einmal mehr zur Gänze aus. Das engagierte Auditorium wird gemeinsam mit ihm zu einer einzigen vielköpfigen Formation, einem Musik gewordenen Superlativ vor minimalistischer, bewusst aufs Notwendige reduzierter Kulisse.
Parallel zum Tonträger gibt es übrigens auch ein Artbook mit 100 Fotografien sowie weiteren Schnipseln. Beim Kauf des Digipaks über die Webseite der Band erhält man die Möglichkeit, nicht für den physischen Release verwendete Mitschnitte herunterzuladen. Die zusätzliche DVD ist zwar ausdrücklich als Bonus zu verstehen, kann sich aber ohne Abstriche sehenlassen und enthält auch Videoaufnahmen von den zahlenden Gästen selbst. Dazu zählten viele in den Eighties hängengebliebene Linksalternative, aber auch einige jüngere Anhänger, die bestätigen, dass die Ikonen und ihr immerhin schon 62-jähriger Frontmann einen zeitlosen Charakter haben.
FAZIT: Eindringliche, denkwürdige Momente, festgehalten für die Ewigkeit als Quasi-Karaoke von einer einzigartigen Band, wobei man in einem Rutsch auch einen repräsentativen Querschnitt ihres Schaffens erhält - "Night Of A Thousand Voices" ist zugleich ein gelungenes Experiment, das bisher im Grunde noch keine Rockband probiert hat, und eine haarsträubend intensive Werkschau, die ihresgleichen sucht. <img src="http://vg06.met.vgwort.de/na/8b04f33d7f064dfbbf2f9359688e5c57" width="1" height="1" alt="">
Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.12.2018
Attack Attack
118:39
14.12.2018