Sie haben sich Zeit gelassen, Kraft getankt, und nehmen nun mit quasi reanimiertem Sänger Anlauf, um die eine oder andere Hürde zu meistern, die für Bands des bereits mehrfach totgesagten Melodic Death Metal Genres höher liegt als für vergleichsweise angesagte Stile. Die Rede ist von den NIGHT IN GALES, die es mit ihrem sechsten Langspielalbum "The Last Sunsets" noch mal wissen wollen – und entgegen aller Unkenrufe kein bisschen altbacken klingen, gleichwohl ihre eigenen musikalischen Wegbereiter vor rund einem Vierteljahrhundert aufhorchen ließen, als der Name "Göteborg" mit einem Mal ein Subgenre des Döds Metal bezeichnete.
Natürlich steht vor allem die Frage im Raum, ob Christian Müller, der zurückgekehrte erste Sänger der Band, an Leistungen anknüpfen kann, die ein halbes Leben zurückliegen – und auch, ob er den Verlust von Björn Gooßes am Mikro verschmerzen lässt. Bereits nach wenigen Songs steht außer Frage, dass es sich bei seinem Einsatz um keine nostalgisch verklärte Verlegenheitslösung unter alten Kumpels handelt, die einfach nur ein bisschen zocken wollen: Der Heimgekehrte wirft sich quasi in die Songs hinein, als gelte es, auch den letzten Zweifler zu überzeugen – ein beachtlicher Neu-Einstand. Während es an Energie also keineswegs mangelt, wird der melancholische Tiefgang von "Five Scars" jedoch nicht erreicht, den sein Vorgänger mit ebenso viel Kraft wie Feingefühl auslotete.
Was für den Gesang gilt, trifft im Großen und Ganzen auch auf die zehn Metal-Songs zu: Sie kommen direkter auf den Punkt, wirken ungeschliffener, und die beiden Interludien tragen insofern wirklich einen wichtigen Teil zum Gesamtkunstwerk bei, indem sie stimmungsvolle Verschnaufpausen im ansonsten geradlinig geführten Frontalangriff darstellen. Die Neuausrichtung auf die Anfangstage der Band bleibt – wie im Grunde immer – eine Frage des Geschmacks, allerdings dürfte sie einige Hörer überraschen, welche die Band nach "Towards…" langsam abgeschrieben haben. Jens Basten ist es gelungen, Widerhaken in manch vertraut klingende Melodielinie einzuflechten, die nicht nur sofort ins Ohr gehen, sondern eben auch hängen bleiben und wiederholt gehört werden wollen. Ein Paradebeispiel dafür ist "Circle Of Degeneration", gleichwohl es mir insgesamt – trotz drei Gastsängern – schwerfällt, einzelne Songs hervorzuheben. Das Album überzeugt in erster Linie als knapp 40-minütige Vollbedienung, die in einem Rutsch gehört werden möchte – und zwar laut. Dan Swanö sei Dank klingt das Album druckvoll und nicht zu modern – zumindest vom Gefühl her eben so, als hätte es auch in den frühen Neunzigern erscheinen kann (der Klang der Bass Drum bleibt davon ausgenommen).
FAZIT: "The Last Sunsets" lässt rein gar keine Zweifel aufkommen, dass NIGHT IN GALES anno 2018 (endlich) wieder ein ganz gewaltiges Wort in punkto Melodic Death Metal mitzureden haben, mehr noch dem Genre frischen Wind einhauchen. Wem das paradox erscheint, weil einige Melodielinien an die Frühwerke von At The Gates erinnern, dem wird die Band mit ihrem rückwärtsgewandten Fokus kaum helfen können. Der eingefleischte Experte für Elchtod in allen Variationen, Björn Thorsten Jaschinski, schrieb andernorts, dass musikalische Reife auf jugendliche Energie und Enthusiasmus trifft. That nails it – not much time left for melancholy these days, welcome back towards a new twilight!
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.02.2018
Tobias Bruchmann
Christian Müller
Jens Basten, Frank Basten
Adriano Ricci
Apostasy Records
39:52
23.02.2018