Es muss Wirkung hinterlassen, wenn man fast sein ganzes Leben lang im Rampenlicht steht – dieses blaue Licht, der ständige Begleiter bei all den Songs, die man vor (s)einem Publikum vorträgt.
Wie oft fragt man sich wohl, wenn man seine Songs zum x-ten Mal singt, wie diese wohl geklungen hätten, würde man andere Kniffe und Ideen bei der Komposition, den Harmonien oder der musikalischen Umsetzung anwenden?
PAUL SIMON hat sich genau diese Frage zu einer Vielzahl seiner eigenen Songs – nicht aber der von SIMON & GARFUNKEL – gestellt und dabei ist dieses, auf seine Art spannende und ungewöhnliche Album <a href="https://www.youtube.com/watch?v=Wu2f5LHnVKk" rel="nofollow">„In The Blue Light“</a> herausgekommen, auf dem er zehn seiner eigenen Lieder völlig neu mit echtem Jazz-Appeal interpretiert und größtenteils in ein Soul-Gewand einkleidet, welches den Stücken nicht ihre romantische Schönheit nimmt, dafür aber eine deutlich stärkere Dynamik – auch erstmals hervorgerufen von Bläsern und Streichern – verleiht.
Simons 14. Studio-Album ist also keins mit neuen Songs, dafür aber mit neuen Arrangements und neuer musikalischer Umsetzung seiner alten Titel. Ein gewagtes Unterfangen. Man hört am Musikkritiker-Horizont schon dieses Grummeln: „Fällt dem nichts mehr ein?“
Aber klar doch!
Vielleicht war es einfach mal an der Zeit, so faszinierende Titel wie <a href="https://www.youtube.com/watch?v=bVLLhXjN7ak" rel="nofollow">„René And Georgette Magritte With Their Dog After The War“</a> oder „One Man‘s Ceiling Is Another Man‘s Floor“ neu aufzupolieren, ohne ihnen dabei ihre großartige Wirkung zu nehmen. Genau das gelingt PAUL SIMON und seiner Band sowie den Bläsern und Streichern, die das große Fenster im Inneren der farbigen LP-Hülle, der außerdem auch noch ein LP-großes Textblatt und ein DL-Code beiliegt, weit aufzustoßen und frischen Musik-Wind hereinzulassen.
Oder – wenn wir ein anderes Bild verwenden – hier fließt kein neuer Wein durch alte Schläuche, sondern alter Wein durch neue Schläuche und der Geschmack bleibt, ohne jeglichen faden Beigeschmack, erhalten.
Auf der LP-Innenhülle samt geöffnetem Fenster und einer im Wind flatternden Gardine stellt PAUL SIMON dann auch fest: „Es ist nicht alltäglich, dass man als Künstler die Gelegenheit bekommt, sein Frühwerk zu überarbeiten, neu zu überdenken und sogar komplette Titel der Original-Songs zu verändern.
Ich nutzte diese Gelegenheit, die es mir noch dazu ermöglichte, mit außergewöhnlichen Musikern zu spielen, die bisher an keiner meiner Aufnahmen mitgewirkt haben. Ich hoffe, dass ich den Songs neuen Schwung verleihen konnte, so wie man einem alten Wohnhaus einen neuen Anstrich verpasst.“
Die Hoffnungen des musikalischen Baumeisters PAUL SIMON gehen auf „In The Blue Light“ voll auf, nur dass einige der Songs nicht nur einen neuen Anstrich erhalten, sondern völlig neu renoviert und in allerbester Sound-Qualität auf 180g-Vinyl gepresst wurden.
Im Endeffekt geht PAUL SIMON von seinem Anspruch her sogar noch einen Schritt weiter, da er sich bewusst mit dem Produzenten Roy Halee, mit dem er schon in den 60er-Jahren zusammenarbeitete, an „In The Blue Light“ heranmachte und sich Spitzen-Musiker, die noch nie mit ihm gemeinsam musiziert haben, aus der Jazz- und Studio-Szene holte, um Songs seiner Karriere, die aus heutiger Sicht zu seinen privaten Lieblingsstücken gehören, in völlig neuem, „blauen Licht“ erscheinen zu lassen: „Auf diesem Album sind die Songs versammelt, denen noch der letzte Feinschliff fehlte oder die beim ersten Hören skurril klangen und deswegen wenig Beachtung fanden. Ich überarbeitete die Arrangements und harmonischen Strukturen, feilte aber auch an den Texten, damit deren Bedeutung klarer wurde. So realisierte ich auch selbst, was ich eigentlich mit den Lyrics transportieren wollte, wurde mir über meine Gedanken klar und konnte sie deutlicher zum Ausdruck bringen.“
Hierbei traf seine Wahl auf Titel, die im Zeitraum von über 45 Jahren entstanden und auf den folgenden sieben seiner insgesamt 14 Solo-Alben zu finden sind:
„There Goes Rhymin' Simon” (1973);
„Still Crazy After All These Years” (1975);
„One-Trick Pony” (1980);
„Hearts And Bones” (1983);
„The Rhythm Of The Saints” (1990);
„You're The One” (2000);
„So Beautiful Or So What” (2011).
Vielleicht sollte man sich im Vorfeld einfach alle Originale anhören und eine Erwartungshaltung entwickeln, wie wohl die neuen Varianten klingen. Garantiert werden dabei viele Überraschungen und viel Unerwartetes eintreten – eine Enttäuschung aber wird sicher ausbleiben, denn „In The Blue Light“ lebt nicht nur von der noch immer starken Musiker-Persönlichkeit und zugleich „Hall Of Fame“-Mitglied PAUL SIMON, sondern auch von der ausgezeichneten Musiker-Gilde, die ihm bei der Verwirklichung seiner Vorstellungen perfekt unterstützt.
FAZIT: „In The Blue Light“ ist das 14. Solo-Album von PAUL SIMON, auf dem er erstmals einen sehr ungewöhnlichen Weg beschreitet, indem er eigene Songs der vergangenen 45 Jahre generalüberholt, die Arrangements und harmonischen Strukturen überarbeitet und mit Spitzenmusikern, die ihn bis zu diesem Zeitpunkt noch nie begleitet haben, einspielt. Dabei ist ein Album voller Seele und Leidenschaft sowie einem Hang zum Jazz herausgekommen. Eine Idee, die anfangs vielleicht einige Skeptiker auf den Plan ruft, wurde so rundum überzeugend von dem noch immer hervorragend bei Stimme seienden 76-Jährigen verwirklicht.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.09.2018
John Patitucci, Renaud Garcia-Fons
Paul Simon
Jim Oblon, Bill Frisell, Paul Simon, Odair Assad, Sérgio Assad, Vincent Nguini, Mark Stewart
Joel Wenhardt, Sullivan Fortner
Nate Smith, Steve Gadd, Marion Felder, Jack DeJohnette
Paul Simon (Percussion, Harmonium), Andy Snitzer, Walter Blanding (Saxofone), Wynton Marsalis (Trompete), Jamey Haddad, Skip LaPlante (Percussion), yMusic (CJ Camerieri: trumpet, piccolo trumpet / Alex Sopp: flute, alto flute / Hideaki Aomori: clarinet, bass clarinet / Rob Moose: violin / Nadia Sirota: viola / Gabriel Cabezas: cello)
Sony Music Entertainment
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07.09.2018