Nachdem Franziska Pilz alias POETESS' PLAY 2015 mit "Love & Chaos" eine erste Duftmarke hinterlassen hatte, nahm sie sich gebührend Zeit zum Ersinnen von elf Songs, die den 13 des Debüts in vielerlei Hinsicht überlegen sind. Herausgekommen ist ein erwachsenes Singer-Songwriter-Album und standesgemäßer Beginn einer Karriere unter der Ägide eines Labels … das in naher Zukunft vielleicht hin zu einem größeren verlassen wird?
Undenkbar erscheint dies in Anbetracht der Substanz nicht, die man auf „Wandering Trees“ geboten bekommt. Pilz hebt sich wohltuend von den zu vielen und austauschbaren Pseudo-Elfen unter den folkloristisch orientierten Musikerinnen der Gegenwart ab, zwischen welchen man sie angesichts des Plattentitels und ihrer generellen Ausrichtung rasch einordnen könnte. ihre kräftige Stimme verweist eher auf Künstlerinnen wie Kate Bush, wozu auch ihre die Fantasie anregenden, weil an Metaphern reichen Texte ('Blackberry') passen, und auch wenn das Material insgesamt basischer angelegt ist, darf man ihm eine gewisse Kunstfertigkeit im Sinne "progressiverer" Musik nicht absprechen.
In gleicher Weise, wie die Gitarrenarbeit manchmal über bloßes Begleiten hinausgeht, kommt das verhalten euphorische Liebesbekenntnis 'Stop The Time' mit vollständiger Band-Instrumentierung daher, und wenn die Protagonistin im darauffolgenden 'In The Bed', ein wenig mit Soul-Vamp-Klischees kokettiert, hat man ihre unberechenbare Art erkannt. Solche Gesten konstrastiert wiederum das recht minimalistische Doppel aus 'Lovesong/Over The Sea' und 'Dirty Pretty Things', das sich zum Schluss anhört wie ein roh belassener Stegreif-Mitschnitt, auch wenn der Gesang nachträglich gedoppelt wurde.
Das tieftraurige 'I Remember', das richtiggehend epische Titelstück und das sich wiegende 'Sun' sind drei Anspieltipps, aber im Grunde beliebig herausgepickt, denn "Wandering Trees" hat es von Anfang bis Ende faustdick hinter den Ohren.
FAZIT: Ein Singer-Songwriter-Höhepunkt aus einer überraschenden Ecke (dem Weserbergland) - Vorwiegend mit Gitarre und Klavier bewaffnet erringt POETESS' PLAY durch "Wandering Trees" schier mühelos einen Sieg auf ganzer Ebene gegen das arbiträre Gros der Szene mitsamt seinem chronisch schlechten Geschmack. Hier ist nichts ironisch, trendig lo-fi oder vorsätzlich dilettantisch gespielt, sondern anhand zu Recht bewährter Tugenden (hohe Spielkultur, eine feinfühlige Produktion, Arrangements mit Pfiff) Liedgut mit hoher Halbwertszeit geschaffen worden. <img src="http://vg06.met.vgwort.de/na/4a73e010435c4fe0b31d8ec077796d17" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.08.2018
Prosodia
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03.08.2018