Drei Jahre sind seit der letzten Langrille von SALTATIO MORTIS ins Land gegangen. „Zirkus Zeitgeist“ markierte schon im Jahr 2015 einen Wendepunkt für die erfolgreichste Mittelalter-Band. Standen bis dato Themen des Mittelalters, Heldensagen oder Schauergeschichten im Mittelpunkt der textlichen Reflexion, begab man sich getreu dem Titel der Platte in Richtung Zeitgeist, der kritisch unter die Lupe genommen wurde. Diese Tendenz setzt sich auf „Brot Und Spiele“ nicht nur unvermindert fort, sondern wird sogar noch in ihrer Intensität gesteigert.
„Brot Und Spiele“ würde die totale Hinwendung der Totentänzer zum Deutschrock bedeuten, wenn, ja wenn es nicht in der Deluxe-Version mit der Zugabe „Ad Fontem“ den Salto zurück zu den Wurzeln der Spielleute geben würde, die Fans der ersten Alben ständig fordern. Doch dazu später mehr.
Nach dem ruhigen Instrumental „Ein Stück Unsterblichkeit“ startet das Opus mit „Große Träume“, das anfangs das Thema des Intros weiterführt um dann in einen reinrassigen Rocksong überzugehen, bei dem Campino und Konsorten Pate gestanden haben und Frontmann Alea hier gesanglich sehr nach CAMPINO klingt.
„Dorn Im Ohr“ führt den gewählten Ansatz weiter, geht richtig in die Vollen und beweist, dass die Jungs um Mastermind Lasterbalk alles andere als biedere Minnesänger sein wollen, sondern der „Dorn im Arsch der Angepassten“. Ein starkes Stück mit Hitpotential und Mitsingfaktor.
„Europa“ beschäftigt sich mit den Erosionserscheinungen der Union und stellt all jenen, die die Zeichen der Zeit nicht erkennen wollen und aus den Trümmern der vielen Kriege nichts gelernt haben, die bohrende Frage: „was hast Du damals gemacht – hast Du geweint oder gelacht?“. Eine intensive Punkrock-Nummer, die nachdenklich macht und eindringlich an das gemeinsame Fundament einer Wertegemeinschaft erinnert, die im Zerfall begriffen scheint. Einer der stärksten SALTATIO MORTIS Tracks überhaupt.
Mit „Spur Des Lebens“ schalten die Spielleute ein paar Gänge zurück und liefern eine sentimentale Ballade, die sich an das „nicht gezeugte Kind“ Lasterbalks richtet und den Zwiespalt des Protagonisten beschreibt, einerseits der Nachwelt ein „Stück Unsterblichkeit“ hinterlassen, andererseits aber seinem Kind diese dunkle Welt nicht zumuten zu wollen. Sanfte Töne, die ins Herz treffen. Großartig.
Der Titel-Track „Brot Und Spiele“ thematisiert die seit der Antike beliebte Strategie der Führungseliten aller Jahrhunderte, die Massen durch geeigneten Zeitvertreib und Gaumenfreuden bei Laune zu halten. Dass SALTATIO MORTIS in ihrer Eigenschaft als Entertainer - wenn auch ungewollt - Teil dieses Systems sind - geschenkt.
Aber es gibt auch launige Nummern wie „Nie Wieder Alkohol“ und „Mittelalter“, in denen diverse Hang-Over Erlebnisse nach durchzechten Nächten (evtl. in der Drachenschänke?) aufgearbeitet werden, letzterer mit tatkräftiger Unterstützung Malte Hoyers (VERSENGOLD) und Mr. Hurley (MR. HURLEY & DIE PULVERAFFEN).
Mit „Brunhild“ findet sich ein Titel im Set, der sich mit der Nibelungensage beschäftigt. Hier wird vom aktuellen Deutschrock-Ansatz abgewichen und ein Terrain beackert, auf das jahrelang das Hauptaugenmerk von Lasterbalk und Co. lag. In der Folge gibt es dann mit „Besorgter Bürger“ eins auf die Zwölf derjenigen, die sich in der Rolle als Retter des Abendlands gefallen, „Lügenpresse“ und „Verrat am Vaterland“ schreien, während ihnen die Bedeutung Goebbelscher Wortwahl entweder abgeht oder aber ganz bewusst zu pass kommt.
„Sie Tanzt Allein“ beschließt das eigentliche Album, während es für für die stolzen Besitzer der Deluxe-Version nun daran geht, die zweite CD einzulegen. Bezeichnenderweise trägt diese Bonus-CD den Titel „Panem Et Circenses – Ad fontem“ und genau diesen Schwenk vollziehen die Spielleute hier in traumwandlerischer Sicherheit: Es geht zurück zur Quelle und zum Ursprung, zu den Wurzeln ihres Schaffens.
Instrumentierung und Mix unterstreichen die Hinwendung zu mittelalterlich inspiriertem Liedgut, Sackpfeifen- und Flötenklänge gewinnen die Oberhand über Stromgitarren und Rockattitüde. Mit dabei sind Instrumentalstücke in bester SALTATIO MORTIS Tradition, die eindrucksvoll die herausragenden musikalischen Fähigkeiten der Band demonstrieren („Ad Digitum Prurigo“, „Drachentanz“, „Amo Lem Ad Nauseam“), daneben gibt es gefühlvolle Balladen („Schon Wieder Herbst“), das auf unzähligen Livegigs etablierte „Epitaph To A Friend“, Titel in Mundart („Herr Holkin“) und als absolutes Highlight der Bonusscheibe „Tränen Des Teufels“, das mit beeindruckendem Text fesselt.
FAZIT: Wie in chinesischer Philosophie Yin und Yang untrennbar miteinander verbunden sind und für polar entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene Kräfte oder Prinzipien stehen, gibt es SALTATIO MORTIS nicht ohne die beiden Prinzipien ihrer musikalischen Ausrichtung. Mit ihrem neuen Album „Brot Und Spiele“ in der Deluxe-Version geben die Musiker die Antwort auf die Frage, welche Richtung in Zukunft eingeschlagen werden soll. SALTATIO MORTIS denken nicht im Entferntesten daran, ihre Wurzeln zu kappen, im Gegenteil. „Brot Und Spiele“ manifestiert die Alleinstellung der Combo als Band, die den Spagat zwischen Mittelalter und Gegenwart spielend meistert.
Punkte: 15/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 25.08.2018
Bruder Frank (Frank Heim)
Alea der Bescheidene (Jörg Roth)
Till Promill (Till Grohe)
Jean Méchant, der Tambour (Jan S. Mischon)
Jean Méchant, der Tambour (Jan S. Mischon); Lasterbalk der Lästerliche (Timo Gleichmann)
Marktsackpfeife, Schalmei, Drehleier, Gesang: Falk Irmenfried von Hasen-Mümmelstein (Gunter Kopf); Marktsackpfeife: Alea der Bescheidene (Jörg Roth), Luzi Das L (Robin Biesenbach) und El Silbador (Christian Sparfeldt)
We Love Music (Universal Music)
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17.08.2018