Der Titel stellt in Aussicht, dass TANKARD nach neuen Themen suchen, aber so wie die Jungs nach dem Reinheitsgebot trinken, nehmen sie auch ihre Musik in Angriff, und das in einer Zeit, wo Kollegen entweder zu stilistisch neuen Ufern aufbrechen (KREATOR ab "Renewal" gen Drogen-Versuchslabor, SODOM mit Andy Brings und später dem obskuren Strahli ins Brutalo-Punk-Wunderland) oder wie DESTRUCTION nach ihrer Trennung von Frontmann Schmier auf Dauer in der Versenkung verschwinden. Beachtenswert? Jawohl.
Und das umso mehr, weil "Stone Cold Sober" das streitbar beste TANKARD-Album seit ihrem zweiten wurde. Glaubt ihr nicht? Schlagkräftige Argumente dafür sind definitiv Geballer wie 'Ugly Beauty' und 'Behind The Back', Bomben-Refrains wie der von 'Sleeping With The Past' und das Doublebass-Monster 'Jurisdiction' gleich zu Beginn. Gerre schrieb darüber hinaus vielleicht zum ersten Mal Texte, die ein Mitteilungsbedürfnis über die Bedienung seiner Stammkneipe hinaus vermuten lassen, und wirkte dennoch nicht wie ein piefiger Intellektueller, der er (hallo, Mille) zum Glück auch nie sein wird.
Das mit über sieben Minuten verblüffend episch ausgefallene Instrumental (!) 'Of Strange Talking People Under Arabian Skies' spiegelt als vorläufiger kreativer Zenit der Instrumentalisten wider, was der Frontmann lyrisch verzapft. Die kuriose Neuinterpretation von 'Centerfold' (von der J. GEILS BAND, ihr kennt das Ding) hätte vielleicht nicht sein müssen, passt aber zu zwei weiteren "Ausreißern": Das in manchen Ohren mittlerweile unsägliche 'Freibier' (es zündet halt sowohl beim ersten als auch nach dem zigsten Mal …) und die ähnlich "witzische" Nummer 'Blood, Guts And Rock N’Roll' außen vorgelassen, bleibt ein ausgesprochen erwachsener Rest zurück.
In die Verlängerung geht diese ultimative Neuauflage (Digipak, fettes Booklet mit vielen Bildchen und sehr aufschlussreichen Liner Notes) mit drei gut klingenden Live-Mitschnitten (vom Thrashing East Festival in der Berliner Werner-Seelenbinder-Halle, 4.3.1990). Apropos, was ist eigentlich mit "Fat... Ugly & Live", jener vor diesem Album in Frankfurt und Bochum aufgenommenen Konzert-Nabelschau? Die könnten BMG bzw. Noise auch noch einmal raushauen.
FAZIT: Gekrönt von einem großartigen Cover brachten TANKARD mit ihrem fünften Album "Stone Cold Sober" eine Scheibe heraus, mit der sie international konkurrenzfähiger denn je dastanden. Die Band sträubte sich dennoch gegen damals angesagte Strömungen und krampfhafte Neuerfindung des eigenen Konzepts, blieb bei ihren Leisten, ohne an Frische einzubüßen, und wurde leider gerade deshalb kontrovers bewertet. Ihrem weiteren Aufstieg hat es zum Glück keinen Abbruch getan. <img src="http://vg04.met.vgwort.de/na/8788844ef9c24d9b89a8a3609219dbfa" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 26.01.2018
BMG / Noise
55:34
26.01.2018