Falls man VNV NATION in Bezug auf ihr neues Album eines ankreiden darf, ist es dessen Länge. "Noire" macht seinem Titel alle Ehre und wirkt insgesamt düster bedrückt, auch wenn die Songs immer wieder Auswege ins Licht zeigen, doch der zu homogene Charakter des Materials erzeugt letztendlichen den Eindruck, man habe es mit einem Soundtrack zu einem epischen Science-Fiction-Film zu tun - ein sechsminütiges Klavierstück ('Nocturne No.7') und ein fast ebenso langes Stück neoklassischer Ambient ('Guiding') beweisen Mut, sind aber im Kontext fehlplaziert - statt mit einer Liedersammlung im klassischen Sinn.
Das bedeutet andererseits nicht, dass die Electro-Pioniere nach fünfjähriger Sendepause verlernt hätten, Chart-kompatible Stücke zu schreiben. Als alte Szene-Hasen wissen sie nicht nur, was einen potenziellen Hit ausmacht - hymnische Synthesizer-Melodien wie in 'Armour' etwa -, sondern können ihren generell gegen alle Trends gefeiten Sound längst selbst produzieren. "Noire" (übrigens in Hamburg entstanden) klingt klasse und für eine Platte aus dem Elektronik-Bereich sowohl unverhofft warm als auch dynamisch.
Im positiven Sinn monotone Tracks wie 'When is the Future?' und 'God of all' stehen stellvertretend für den allgemeinen Modus Operandi, nach dem VNV NATION 2018 verfahren. Das Projekt trifft mithilfe ökonomisch eingesetzter Mittel jeweils einen Nerv und bittet insbesondere mit dem schwerelosen Rave von 'Wonders' sowie 'Only Sattelites' auf die Tanzfläche. Das gefällt dem langjährigen Fan und verprellt auch ansonsten keinen Traditionalisten, auch wenn man zuweilen meint, Ronan Harris und Co. würden sich ein wenig unter Wert verkaufen.
Am Ende sind es nämlich das besonders finstere 'A Million' und das geradezu bombastische 'All our Sins' (Gänsehaut-Text!), in denen sich VNVs volles Potenzial entfaltet. Hier kommen sie den raffiniertesten Werken im Schaffen von Frank Spinath bei Seabound und auf dem demnächst erscheinenden Radioaktivists-Album am nächsten.
FAZIT: VNV NATION sind und bleiben eine Marke im "anspruchsvollen" Electro-Sektor. Die Lieder auf "Noire" reizen die maximale Kapazität des CD-Formats fast gänzlich aus und wahren dabei eine durchweg hohe handwerkliche Qualität, die bei gleichbleibend trister Stimmung langfristig allerdings etwas ermüdet. Macht euch einfach einen Sampler aus den stärksten Momenten, derer es zweifelsohne genug gibt, wenn man den vielleicht überambitionierten Zierrat drumherum ausblendet. <img src="http://vg06.met.vgwort.de/na/2d7c02a6d8ce4d8bb8c1ea680bde8b7d" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 17.10.2018
Anachron Sounds / Soulfood
73:29
12.10.2018