Die meisten Bands ohne Sängerinnen oder Sänger, bei denen man die Stimme auch wirklich nicht vermisst, stammen aus unerfindlichen Gründen aus asiatischen Ländern. Das beginnt bei einem verhältnismäßig bekannten Namen wie Mono aus Japan und gilt umso mehr noch für einen hierzulande kaum wahrgenommenen Underground, der eine Fülle an sowohl definitiv exotischen als auch trotz ihrer Arbeit mit "westlichen" Stilmitteln eigenständigen Acts beherbergt.
Im Fall von WANG WEN handelt es sich vermutlich um die Veteranen schlechthin der chinesischen Szene, und "Invisible City" ist bereits das zehnte Album der Gruppe, die allerdings erst 2016 mit "Sweet Home Go!" in der Wahrnehmung europäischer Hörer ankam. Diese wundern sich nun bestimmt über das konträre Klangbild, das die aktuellen Songs im Verhältnis zu jenen des richtiggehend trist und karg inszenierten Vorgängers zeichnen.
Jawohl, "Invisible City", aufgenommen in Sigur Rós' Sundlaugin Studios in Island sowie vom belgischen Produzentenpaar Wouter und Lode Vlaminck endveredelt, kommt vertonten Hoffnungsschimmern gleich und strahlt jene unvergleichliche Naivität aus, die man bislang nicht von WANG WEN gekannt hat, obwohl es eines der Hauptmerkmale von Bands aus ihrem weiteren Kulturkreis darstellt.
Gitarrist Xie Yugang bestätigt sich einmal mehr als Klangvisionär mit ganzheitlichem Blick auf seine Musik. Bläser-artige Sounds hier, ein leitmotivisches Pfeifen wie aus einem Goblin-Soundtrack dort, anderswo kratzige Störgeräusche als Kontrast zu fast schon proggig-lehrerhaftem Keyboard-Gedudel und über allem recht traditionelle Post-Rock-Strukturen, die jedes der sieben Stücke ('Outro' ist lediglich dröhnender Ambient) zu einer Studie im Konstruieren von Klanggebirgen macht.
FAZIT: WANG WEN müssten spätestens jetzt weltweiten Anklang bei Musikfreunden finden, die wahrlich neue Klänge - also keine als Revolution verschleierte Effekthascherei - innerhalb vertrauter kompositorischer Prinzipien schätzen und bei allem intellektuellen Anspruch auch Gefühle nicht missen möchten. "Invisible City" ist in der Tat, wie Gitarrist Xie Yugang selbst sagt, Ton gewordene Trotzhaltung gegen den Tenor von Ausweglosigkeit, der in der Heimat der Gruppe vorherrscht, dem wirtschaftlich gebeutelten Nordchina, wo auch latente Umweltverschmutzung die Lebensqualität vermindert. Entrückte Sounds als Mittel zur Heilung der Weltseele? Zumindest eine schöne Vorstellung … <img src="http://vg05.met.vgwort.de/na/2da6182bfa7c44dbb819073b2ee3e8f6" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 24.09.2018
Pelagic / Cargo
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28.09.2018