Feministischer Hardcore Punk, allein diese Bezeichnung genügt bereits, um Scheuklappen tragenden Musikfans, die ihren Stoff frei von Politik mögen, Kopfschmerzen zu bereiten, doch bei WAR ON WOMEN ist der ideologische Unterboden nicht wegzudenken, was Vor- und Nachteile mit sich bringt.
Das seit Anfang dieses Jahrzehnts aktive US-amerikanische Quintett aus Baltimore treibt sein Sendungsbewusstsein auf diesem zweiten Album (das selbst betitelte Debüt erschien 2015) weiter auf die Spitze und erfährt dabei eine zweifellos ungewollte symbolische Aufladung. Die Single 'Lone Wolves' erschien just an dem Tag, als die 16 Jahre junge High-School-Studentin Jaelynn Willey aus dem Bundesstaat Maryland von ihrem Ex-Freund erschossen wurde - Wasser auf die Mühlen der Gegnerinnen des Patriarchats und der Waffengesetze der Vereinigten Staaten.
Selbst wenn man dergleichen allerdings ausblendet, bleibt "Capture The Flag" ein haarsträubend intensives Album. Nerviger erhobener Zeigefinger hin, offensichtliche Selbstgerechtheit her - WAR ON WOMEN schreiben packende Lieder, die einerseits prosaisch plump sind, wie es die Realität selbst eben auch mitunter ist, und andererseits findige Songwriterinnen auf der Höhe ihres Schaffens zeigen.
Verhallte Gitarren, offene Harmonien, mehrheitsfähige Hooks hier, unbändige Wut (glaubwürdig vermittelt), hämmernde Kompromisslosigkeit und Haken schlagende Beats dort - diese Kombination stellt sich als nahezu unschlagbar heraus, wenn man nach Musik sucht, die umstürzlerische Energien freisetzen oder einfach nur dem Abreagieren dienen soll.
Ob das Vorhaben der Combo, die Popkultur mit subversiven Botschaften zu unterwandern und Änderungen hervorzurufen, in letzter Konsequenz gelingt, steht auf einem anderen Blatt, doch diese zu Songs gewordenen Zeigefinger der mahnenden Sorte - allen voran 'Silence Is The Gift' (kurioserweise urig punkig mit brummelndem Bass wie 1977), die Anti-Nazi-Hymne 'Predator in Chief', mit der WAR ON WOMEN auf die US-Flagge spucken und 'YDTMHTL' mit Gastsängerin Kathleen Hanna - muss man davon abgesehen, dass sie in zehn Jahren noch zünden werden, in diesem Jahr als Hardcore- wie auch Indie-Fan gehört haben.
FAZIT: WAR ON WOMENs zweites Studioalbum ist unangepasst und eingängig zugleich, in seiner angriffslustig gesellschaftskritischen Art diskutabel, dennoch massenkompatibel und deshalb vielleicht waschechter Alternative Rock, so wie er ursprünglich einmal gemeint war, ungefähr wie zähnefletschende Bikini Kill oder Hole im Blut- statt Heroinrausch. Besorgt euch die Scheibe mit 16-seitigem Begleitbuch, in dem die Damen konzeptionell erst recht in die Tiefe gehen. <img src="http://vg01.met.vgwort.de/na/24bb28dd7eeb4e3b97cc9e41835e1ee5" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.06.2018
Bridge 9
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01.06.2018