Muss man als Rezensent einer posthumen Veröffentlichung von Songs eines verstorbenen Künstlers diesen Umstand und jegliche persönliche Bindung an sein Schaffen ausblenden? Nein, es ist unmöglich und vermutlich auch gar nicht erwünscht, also gleich weiter zur Sache, und sei der Autor auch noch so befangen: Auf „Shadow Work“ sind die letzten Aufnahmen des ehemaligen Sanctuary- und Nevermore-Frontmanns WARREL DANE zu hören, zusammengefügt aus Mitschnitten im Rahmen der Vorproduktion und von der brasilianischen Begleitband des Verstorbenen vollendet.
Die Gruppe bestand neben Dane aus Marcus Dotta, dem Schlagzeuger des Shredders Tiago Della Vega, dem unter anderem bei Fusion-Ikone Frank Gambale in die Schule gegangenen Gitarristen Johnny Moraes (eigene Band: Hevilan) dessen in Kammermusik und Jazz bewandertem Kollegen Thiago Oliveira (Seventh Seal) sowie dem Bassisten Fabio Carito.
Wie schon weite Teile seines vor zehn Jahren erschienenen Solodebüts könnten viele Songs ebenso gut von den späteren Nevermore stammen, auch weil die Gitarristen Thiago Oliveira und Johnny Moraes bewusst in Jeff Loomis‘ Fußstapfen treten. Wie die aufgelöste Gruppe auf Seattle bis zuletzt vereinen sich auch hier wütender (Prog) Thrash, typisch amerikanischer (Riff-basierter, nicht penetrant melodischer) Metal und regelrecht psychedelische Parts mit jener unnachahmlichen Stimme – ein Organ ihres Besitzers, das in den vergangenen Jahren weniger abbaute als der Rest seines Körpers.
Den besten Beweis dafür liefert er im fast zehnminütigen Finale ‚Mother Is The Word For God‘ mit einer facettenreichen wie ergreifenden Performance, die zu seinen Sternstunden gezählt werden sollte. Eine weitere Parallele zum Vorgänger: nach ‚Lucretia My Reflection‘ wieder eine Coverversion, diesmal ‚The Hanging Garden‘ von The Cure in knallhart, nahezu dekonstruierter Form. Sie reiht sich nahtlos zwischen der vertrackten Düsternis von ‚Disconnection System‘ oder dem fiebrig treibenden Titelstück ein, wohingegen das melancholische ‚As Fast As The Others‘ und die Power-Ballade ‚Rain‘ verhältnismäßige Ruhepole darstellen.
Hier bildet man sich ein, die Weltmüdigkeit des Sängers herauszuhören; die beiden Stücke – nein, eigentlich alle – sind unter den gegebenen Umständen Tränentreiber, die unbeantwortet bleibende „Was wäre noch gekommen, wenn“-Fragen provozieren.
FAZIT: Ein posthumes Meisterwerk. <img src="http://vg06.met.vgwort.de/na/ecb3f3d8933e4c53b4e422b8457c1eb5" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 25.10.2018
Century Media / Sony
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26.10.2018