Gleich vorweg: Was für ein Album! Wider Erwarten kehren die zwischenzeitlich (auch aufgrund von Besetzungswechseln) fast vergessenen WHITE WIZZARD mit einer für "True" Metal voller alter Tugenden praktisch konkurrenzlos starken Platte zurück und setzen sich über jegliche Szene-Zwänge hinweg. Mit sehr unkonventionellen Aufbauten, virtuosen Sauereien und dennoch viel Bauchgefühl müsste sich die Combo im Grunde in die Herzen aller (!) Hartgitarrenfans spielen.
Das dramatische Titelstück zur Eröffnung, dem das dezent orientalisch anmutende 'Metamorphosis' gegen Ende in nichts nachsteht, ist eine wenig offensichtliche Einleitung, und unberechenbar soll es auch weitergehen. "Infernal Overdrive", doch "sophisticated" zu sein, geht WHITE WIZZARD ganz natürlich von der Hand Umso lässiger fällt das swingende 'Pretty May' aus und gemahnt eher an in den 1980ern etwas kommerzieller ausgerichtete US-Metal-Acts aus der zweiten Reihe (MALICE vielleicht?), wohingegen das getragene 'Cocoon' einen unauffälligen "Ruhepol" (relativ betrachtet) markiert.
Ansonsten wird's oft überlang: Beispielsweise in 'Chasing Dragons' - leicht wehmütig, insbesondere während des Refrains, vom Duktus her eher schreitend, wenn auch anhaltend verspielt und mit stimmungsvoller Bridge versehen, wo die verzerrten Gitarren in beispielloser Weise mit cleanen Parts überlagert werden - sowie 'Critical Mass', bei dem höchste Stimmregister erklommen werden. Einen dementsprechend exaltierten, hibbeligen Eindruck hinterlässt dieser spielerische Parforceritt auch, obgleich der geradlinige Refrain wieder keine Wünsche offenlässt.
Das straighte, überdeutlich auf IRON MAIDENs Doppel-Leads Bezug nehmende 'Storm The Shores' ist ein Hit auf Ansage und nicht die einzige Anspielung auf das Werk der legendären Briten. 'Voyage Of The Wolf Raiders' veranschlagt fast zehn Minuten und ist ein Epos in Steve Harris' Sinn, wie es klassischer nicht sein könnte: akustischer Beginn mit sehnsuchtsvollen Vocals, dann stolzierender Melodic Metal und ein atmosphärischer Mittelteil mit Bass-Arpeggio und einer praktisch eins zu eins von 'To Tame A Land' (von Bruce Dickinsons zweiter Scheibe mit der Band, "Piece Of Mind") "geborgten" Melodie - frech mutig und dennoch gelungen. Ach, und das Schlusssegment des Tracks? Ein flotter Endspurt, wen wundert's.
Nach diesem ultimativen Highlight folgt beileibe kein Füllmaterial. Immerhin steht ganz hinten das elfminütige 'The Illusion's Tears' und wirkt zu keiner Sekunde künstlich gestreckt. Es ist tatsächlich der einzige Song mit balladenhaften Versatzstücken und lässt diese über weite Strecken unvergleichlich fieberhafte Platte recht versöhnlich ausklingen. Ein echt tolles Finale.
FAZIT: Schon früh im Jahr steht fest, dass WHITE WIZZARD gegen Ende bei vielen Kritikern und Hörern den Pokal für das Classic-Metal-Album 2018 einheimsen werden. "Infernal Overdrive" lässt viele alte Hasen und noch mehr junge Acts dermaßen Staub schlucken … ehrlich, man hätte es nicht für möglich gehalten, doch in puncto Einfallsreichtum, Songwriting-Intelligenz und Spielvermögen reicht dieser Truppe im traditionellen Bereich momentan kaum jemand das Wasser. <img src="http://vg04.met.vgwort.de/na/4e48d93a96c4487380690b2048471c3c" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.01.2018
M-Theory Audio
61:10
12.01.2018