Es ist ein wortwörtlich revolutionäres Album, das uns die Musikerin und Produzentin EMEL MATHLOUTHI hier mit „Everywhere We Looked Was Burning“ vorlegt. Natürlich hat diese Feststellung auch viel mit ihrer eigenen Geschichte zu tun. Denn die in Tunesien geborene, dann im französischen Exil verweilende und heute in New York lebende Musikerin gilt seit dem Jahr 2011 mit ihrem bewegenden Lied <a href="https://www.youtube.com/watch?v=wJ79iEfus8E" target="_blank" rel="nofollow">„Kelmti Horra“ (Meine Worte sind frei)</a> als die klangvolle Stimme der Jasmin-Revolution in Tunesien, bei der sich größtenteils die Jugend gegen seine Regierung und die katastrophale soziale Situation, in der sie durch Massenarbeitslosigkeit, hohe Lebensmittelpreise und die allumfassende Zensur litten, erhoben. Schon bald wurde der Song so zur Hymne des Arabischen Frühlings und brachte EMEL MATHLOUTHI 2015 einen Auftritt zum Friedensnobelpreis-Konzert ein.
Auch auf ihrem neuen Album rebelliert die Musikerin mit ihrer abwechslungsreichen Stimme, die sich mal kristallklar, dann im Obertonbereich oder in den tiefen Lagen in allerbester TORI AMOS-Manier bewegt, wobei sie eine progressive Rockmischung zwischen traditioneller arabischer Musikkultur, Electro-Pop plus Klang-Collagen und verspielten Prog-Rhythmen miteinander vereint.
Ihre Absicht hinter „Everywhere We Looked Was Burning“ formuliert sie dabei folgendermaßen: „Die Welt muss gerettet werden, oder? Wir müssen unsere Sinne retten, weil sie verletzt wurden. Aber sie halten uns davon ab, komplett böse zu sein. Sie lassen uns erwachen durch Poesie und Kunst. Sie verbinden uns miteinander und geben unserer Bestimmung einen Sinn wie die Morgendämmerung, wenn die ersten Lichtstrahlen zu sehen sind. Es ist ein Moment, um Kraft und Energie neu zu beleben."
Atmosphärisch kommt einem manchmal sogar die hypnotische Hit-Erhabenheit einer ENYA in den Sinn. So strahlen <a href="https://www.youtube.com/watch?v=8zf8pF-5-eg&feature=youtu.be" target="_blank" rel="nofollow">„Rescuer“</a> und <a href="https://www.youtube.com/watch?v=pKPASpHNXyo" target="_blank" rel="nofollow">„Footsteps“</a> anfangs eine ganz ähnliche Faszination wie die schönsten melancholischen ENYA-Titel aus, denen zugleich ein bedrückender Moment innewohnt, der immer wieder in Richtung Arabisch-Traditionelles oder gar Experimentelles ausbricht und mitunter dabei sogar aggressive Strukturen entwickelt.
Neu ist auch, dass Emel auf ihrem aktuellen Album mit dem kämpferischen Cover, das ein wenig an die Französische Revolution erinnert, fast ausschließlich englisch und nicht wie zuvor arabisch singt. Eine logische Konsequenz wohl, da sie nun in New York lebt und speziell für diese Aufnahmen ein Haus in Woodstock mietete, um „über die Natur zu schreiben, und über die Schönheit und den Kampf jener Zeit". Dabei beeinflussten sie speziell die Dichter Rainer Maria Rilke, T.S. Elliot und John Ashbury. Und dass hierbei auch SIGUR RÓS musikalische Spuren hinterlassen, ist gerade bei den großartigen Stücken „Womb“, <a href="https://www.youtube.com/watch?v=rQI42aMFH3E" target="_blank" rel="nofollow">„Wakers Of The Wind“</a> und dem das Album abschließenden Titeltrack unüberhörbar.
Abgerundet wird der sehr gute Gesamteindruck von „Everywhere We Looked Was Burning“ noch durch eine gänzlich perfekte Produktion sowie den glasklaren und zugleich voluminösen Sound, wobei speziell die Vinyl-Ausgabe im Gatefold-Cover samt aller auf der Innenseite abgedruckten Texte besonders empfehlenswert ist.
FAZIT: Mit „Everywhere We Looked Was Burning“ gelingt der tunesischen Musikerin EMEL MATHLOUTHI eine progressive Mischung aus arabischer Weltmusik, Electro-Pop, vielfältigem Gesang und kritischen Texten, die wie eine gewagte arabische Kombination aus SIGUR RÓS, TORI AMOS und ENYA klingt.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.11.2019
Partisan Records / Knitting Factory Records Inc.
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04.10.2019