<b>„Was aber bleibt, ist die Musik!“</b> (Gidon Kremer)
Er ist einer der ganz großen Musik-Idealisten, der in einer Diktatur wie in einer Demokratie nie den Glauben daran verloren hat, dass die Musik und die Leidenschaft des Musikers nicht nur Grenzen überwindet, sondern auch Werte und Gefühle vermittelt, die so intensiv und ehrlich wie kaum etwas Anderes sind. Man muss brennen für das, was man tut, und immer wieder dafür üben, um am Ende ein großer Künstler zu werden. Er ist ein ganz großer Künstler – einer der allergrößten: der 1947 in Riga geborene Violinist GIDON KREMER!
Allerdings sprechen seine Erfahrungen mitunter eine andere Sprache, als es seine Wünsche im Umgang mit der Musik tun – und wie kein zweiter bringt er dies in der Dokumentation „Das Finden der eigenen Stimme“, die dem „Präludium auf eine verlorene Zeit“, in dem er solistisch im Moskauer Gogol-Theater zu beeindruckenden Fotos Mieczyslaw Weinbergs 24 Preluien, op. 100 vorträgt, auf den Punkt: „Egal ob in einer Diktatur oder einer Demokratie – der Gefangenschaft oder Freiheit – die Zwänge, die auf der Kultur lasten sind in ihrer Art ganz ähnlich, unterscheiden sich kaum. In der Diktatur sind sie ideologischer, in der Demokratie materieller Art.“
Kunst ist leider längst zu einem Marktwert verkommen und viel zu selten zählt Können und Qualität. Alles muss sich verkaufen lassen. Doch gerade dadurch verliert vieles seinen Wert. Zu dieser Erkenntnis kommt man spätestens dann, wenn man die Dokumentation „Finding Your Own Voice – Dokumentarfilm von Paul Smaczny“ über Gidon Kremer und seine unglaubliche Virtuosität als Mensch und Musiker gesehen hat.
Und alle, denen bisher klassische Musik – vielleicht durch negative Zwang-Erfahrungen in ihrem Musikunterricht – ein Gräuel waren, deren Bild wird garantiert nach der knappen Film-Stunde gehörig durchgerüttelt sein, wenn man noch dazu die orchestralen Ausschnitte von Meisterwerken wie ARVO PÄRT, den man zusätzlich im Gespräch mit Kremer wortwörtlich bewundern kann, und PHILIP GLASS gehört hat.
Weiterhin bewundernswert ist dann auch der zweite Teil der DVD, die im sehr schön gestalteten (das Frontfoto ist von Kremers Tochter, einer Fotografin, aufgenommen worden!) Digipak samt eingeklebtem 46-seitigem Booklet voller Informationen in deutscher und englischer Sprache sowie vielen Fotos daherkommt: das Solo-Konzert von GIDON KREMER aus dem Moskauer Gogol Center, bei dem er die 24 Präludien Op. 100 von Mieczyslaw Weinberg, die er speziell für die Solo-Violine adaptiert hat, aufführt und diese mit bewegenden Schwarz-Weiß-Fotos des litauischen Fotografen Antanas Sutkus, mit der Absicht, die narrative Kraft der Musik auch visuell zu betonen, illustriert.
Kremer bemerkt dazu im Booklet: „Große Kunstwerke sind selbstverständlich zeitlos. Interessant ist jedoch, dass Weinbergs Musik und viele von Sutkus' kraftvollen Bildern um die gleiche Zeit herum entstanden sind – in den 1960er Jahren. Auch wenn es keine direkte Verbindung zwischen diesen beiden Künstlern gibt, macht dieses Projekt doch deutlich, dass sie in ihrem Leben ganz ähnliche Erfahrungen machten. Ihre Klänge und Bilder spiegeln die Lebenswirklichkeit einer besonderen, 'utopischen' Ideologie wider – ein Konzept, das während der Sowjetzeit allen auferlegt wurde. […] Es ist eine Welt voller Geschichten. Wenn ich sie mit meiner Violine erzähle, möchte ich das Publikum einladen, in eine 'verlorene Welt' einzutauchen, aus dem Blickwinkel eines noch lebenden Zeitzeugen.“
Es ist schier unglaublich, welche Klänge Kremer streichend, zupfend, fingerpickend oder zärtlich schlagend seiner über 400 Jahre alten Violine entlockt. So, als würde er auf diesem einzigartigen Instrument ein ganzes Orchester ersetzen wollen. Dazu verleihen die faszinierenden Bilder, welche die Sowjetunion der 60er größtenteils mit sehr emotionalen Schnappschüssen von Menschen dieser Zeit darstellen, der Musik eine besondere Tiefe, die so wohl nie erreicht werden würde – auch weil Musik und Bild minutiös aufeinander abgestimmt sind. Mitunter ist man zu Tränen gerührt, ähnlich wie Weinbergs Witwe, die am Ende der Aufführung Kremer versichert, dass für ihren Mann, hätte er das noch erleben dürfen, ein Traum in Erfüllung gegangen wäre.
FAZIT: Eine DVD, zwei kunstvolle Präsentationen von bzw. über GIDON KREMER! Einerseits gibt es unter „Finding Your Own Voice“ eine schwer beeindruckende Dokumentation über den Violinisten zu sehen. Ein ruhiges und nachdenkliches des großen Geigers und menschlichen Idealisten, dessen humanistische und künstlerische Werte weitab von Selbstverliebtheit und Profitorientierung liegen. Andererseits das Solo-Konzert von GIDON KREMER aus dem Moskauer Gogol Center, bei dem er die 24 Präludien Op. 100 von Mieczyslaw Weinberg, die er speziell für die Solo-Violine adaptierte, aufführt und diese mit bewegenden Schwarz-Weiß-Fotos des litauischen Fotografen Antanas Sutkus, mit der Absicht, die narrative Kraft der Musik auch visuell zu betonen, illustriert.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.12.2019
accentus music
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27.09.2019