Singer-Songwriter Hayes Carll trägt seine Vorschusslorbeeren mit Würde und braucht sie zur Veröffentlichung seines neuen Albums keineswegs abzulegen. Im Zuge seiner Lebensbeichte mit „Lovers and Leavers“ (2016) kommt „What It Is“ einem Befreiungsschlag gleich. Das aktuelle Dutzend Songs lässt jegliche Klischees vom verzärtelten, allzu introvertierten Klausner beiseite und fasst das große Ganze ins Auge. Sozialkritik und politische Betrachtungen sind zwar zwei andere Fettnäpfe, in die Liedermacher allzu häufig treten, doch der preisgekrönte Barde aus den USA tänzelt virtuos wie gefühlvoll daran vorbei.
Sein wiedergefundener Humor hilft ihm dabei, zumal er nach nur zehn sagenhaft erfolgreichen Karrierejahren sowieso keine Beweise mehr dafür liefern muss, dass er zu den ganz Großen seines Landes gehört.Darum ließ er sich für "What It Is" auf Co-Kompositionen mit u.a. Adam Landry und Allison Moorer ein, die das Album übrigens auch gemeinsam mit Carlls langjährigem Knöpfedreher Brad Jones produzierte.
Herausgekommen ist ob bewusst oder nicht ein Porträt des Durchschnittsbürgers der Vereinigten Staaten in seiner gegenwärtigen Befindlichkeit. Der dramatische Western 'Fragile Men', geschrieben mit Popper Lolo, gehört zu den zudringlichsten Stücken der Platte, besitzt aber in textlicher Hinsicht genauso viel Sprengkraft und Stoff zum Diskutieren wie 'Wild Pointy Finger', das fehlgeleitetes gesellschaftliches Engagement erörtert sowie zwischen Latin und Blues pendelt.
Im Country-esken Soul-Schmachtfetzen '"Things You Don't Wanna Know' hingegen scheint er sich in einen perspektivlosen Mittelschichtler hineinzuversetzen, der in einer Bar versackt, und bei so viel Gebrochenheit, wie er bis zum Finale 'I Will Stay' ist man fast froh eine irgendwie versöhnlich gezupfte Schlussnote zu vernehmen.
FAZIT: "What It Is" ist ein intensives Singer-Songwriter-Album, das stilistisch so vielfältig anmutet und wieder einmal dermaßen mainstreamig in Szene gesetzt wurde, dass man fast übersieht, wie Hayes Carll in den Songs mit der amerikanischen Seele hadert. Ein Zwitterwerk im besten Sinn. <img src="http://vg06.met.vgwort.de/na/1983d6cbeb47412285664489e1db580c" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.02.2019
Dualtone / eOne
45:32
15.02.2019