Letztes Jahr erschien die empfehlenswerte EP „12 Sortie“, jetzt debütieren LÈCHE MOI („Leck mich“!) mit ihrem fünfzigminütigem Longplayer. Und machen dort weiter, wo der kurze Vorgänger aufhörte. „Cold Night“ macht seinem Namen alle Ehre, ein knarziges, kantiges Ding zwischen Post-Punk und Electroclash erzählt davon, wenn die Nacht finster heraufzieht und jeder für sich allein gefickt ist. Oder so ähnlich. Die musikalischen Quellen liegen irgendwo bei CABARET VOLTAIRE, BAUHAUS und SIOUXSIE & THE BANSHEES, insbesondere wenn der weibliche Gesang mit seinem Anspruch von entschiedener Dringlichkeit ertönt.
Der „bald guy with a deep voice“ benutzt diese zum singen, röcheln, schreien, flüstern und Geschichten erzählen. Zum Ende hin wird „A6“ stellenweise zum Hörspiel vor abstrakten Klangcollagen (das geradezu nervbohrende „Irrécupérable“). Davor wird schon mal der Blues von Cyberpunks zerhackt („Burned“), während Intonation und Rhythmus von „A Monkey On My Back“ sachte an LAIBACH erinnern. LÉCHE MOI sind beseelte Krachmacher, in den besten Momenten verbinden sich kalte Maschinenrhythmik mit überbordenden Emotionen, eine Art irisierenden Pops aus der Hölle, der direkt im Eisfach landet.
„Rage“ beginnt als eine Art Ballade und steigert sich immer wieder zu furiosen Crescendi. Der Song hätte gut auf den Soundtrack der letzten „Twin Peaks“-Staffel gepasst. „Anyway“ lässt es durchwegs verhalten angehen und ist in seiner hypnotischen Intensität ein Höhepunkt des Albums. Ein anderer ist „Deep“, mit erhöhtem Pulsschlag wird ein enigmatischer Reigen aufgeführt. Hier ist der Einfluss SIOUXSIEs mit am deutlichsten zu vernehmen, auch wenn Gitarren hinter den voranpreschenden Synthies nur die zweite, ähem, Geige spielen.
Dann verliert das Album komplett die Fassung, holt Sister Ray dazu und zelebriert eine endzeitliche Variante des „The Black Angel's Death Song". Für Augenblicke beschleicht einen das mulmige Gefühl, dass Musik durchaus gefährlich sein kann (elf Minuten „All Is All“ - it’s nothing). Das Infoblatt zum Album hat schon recht, wenn es verkündet, „A6“ sei voller „fiebriger Musik, leck‘ mich, schenk‘ mir schwarze Küsse. Und an Sonntagen ist ein hübsches, kleines Messer im Ärmel versteckt.“ Oder auch: „Romanticism, rage and spleen“. Passt.
FAZIT: „A6“ ist kein Album für zwischendurch. Hier wird erhöhte Aufmerksamkeit gefordert. Grenzüberschreitender Darkwave von morbider Anzüglichkeit, immer kalt und heiß, nie lauwarm dazwischen. Manchmal herrscht auch einfach Stille, bevor es hämmernd weitergeht. Feines Album für Freunde surrealer Alpträume. Allen anderen sei gesagt: LÉCHE MOI.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.07.2019
Mathias Imbert
Red, Thierry Müller, Serge Bégout
Eric Jeunesse, Jean-Noël Cognard
Quentin Rollet (sax), Thierry Bartalucci (acc.)
Atypeek Music/Araki Records
50:02
11.06.2019