Drei Jahre nach seinem letzten Atemzug hier auf Erden, erscheint mit „Thanks For The Dance“ das Vermächtnis LEONARD COHENs, der die hier veröffentlichten Songs bereits im Zuge der Sessions für sein bisher letztes, nur neunzehn Tage vor seinem Tod am 07. November 2016, veröffentlichtes Album „You Want It Darker“ geschrieben hatte. War eben jenes „You Want It Darker“ bereits das Album, das COHEN in sicherer Erwartung seines baldigen Todes fertigstellte (I´m ready, my LORD), ist „Thanks For The Dance“ als eine Art Reprise zu verstehen, ohne die „You Want It Darker“ nicht wirklich vollständig ist und deshalb gerade keine Resteverwertung irgendwelcher Outtakes darstellt, wie dies gemeinhin im Business üblich zu sein scheint.
Für die posthume Veröffentlichung verantwortlich zeichnet COHENs aus der Beziehung mit Suzanne Elrod hervorgegangene Sohn ADAM COHEN, der in Zusammenarbeit mit Musikern von Weltruf wie DANIEL LANOIS, MICHAEL CHAVES, JENNIFER WARNES, BECK, FEIST, BRYCE DESSNER sowie dem spanischen Gitarristen JAVIER MAS den Rohdiamanten seines Vaters den nötigen Schliff verpasste.
Dabei herausgekommen ist ein Album, das tatsächlich in der Lage ist, verschiedene, mehrheitlich falsche Interpretationsansätze des „You Want It Darker“ - Longplayers zu korrigieren, finden sich hier nämlich interessanterweise die Pendants, die textliche Aussagen COHENs erklären, die in der Vergangenheit selbst die Jüdische Allgemeine in einer Rezension als Rückbesinnung auf, in letzter Instanz sogar als Rückkehr des Musikers zu seiner jüdisch geprägten Vergangenheit verstanden wissen wollte.
Schon der Opener „What Happened To The Heart“ räumt in Reflexion des grandiosen „You Want It Darker“ gnadenlos mit der Vorstellung auf, COHEN könne im Zuge einsetzender Altersweisheit zurück zu einem Gott gefunden haben, dem er bereits 1984 ein ambivalentes Denkmal setzte. „Hallelujah“ beschreibt schon damals die Zerrissenheit des Musikers, nur ein gebrochenes, weil erzwungenes Hallelujah stammeln zu können, spätere Variationen des Textes brachten dann die Abwendung vom biblisch inspirierten, hin zum eindeutig sexuellen Hintergrund des Textes.
Ungeachtet dessen war COHEN zeitlebens ein spiritueller Mensch, der sehr wohl mit dem jüdischen und/oder christlichen Gott haderte. „I got my shit together / meeting Christ and reading Marx“ beschreibt in „What Happened To The Heart“ die Suche nach der Sinnhaftigkeit, die er, während er bildhaft „religiösen Nippes“ verkauft, zwar nicht aufgibt, letztendlich sich aber selbst in den „Kerkern der Begnadeten“ den „Wächtern“ gegenüber freundlich verhält, um nicht mit ansehen zu müssen, was „mit dem Herzen geschieht“, denn während die „Seele nur ein kleiner Fisch ist“, ist „der Verstand ein Hai“.
Die vehemente Anklage COHENs, der seinen Gott bezichtigt, „die Karten zu geben“, um als Puppenspieler die Fäden zu ziehen („Puppets“), findet sich sowohl in „You Want It Darker“, wo COHEN sarkastisch anmerkt, gar nicht gewusst zu haben, „die Erlaubnis zu besitzen, zu morden und zu verstümmeln“, eine Vorstellung des christlichen Glaubens, die jede Tat im Namen des Herrn rechtfertigt, als auch in „Puppets“, wo „Deutsche Marionetten jüdische Marionetten verbrannt haben“, dies alles als Teil eines riesigen Spiels, dessen Ausgang längst in Stein gemeißelt ist.
Prädestination als immer wiederkehrendes Thema in COHENs Lyrik findet seinen Gegenpol in der Aufarbeitung diverser Liebesabenteuer, an die sich der 82-Jährige zurückerinnert, obwohl er „sein halbes Leben“ bereits vergessen hat, („The Night Of Santiago“). Lüstern-frivole Beschreibungen zwischenmenschlicher Aktivitäten, die der Womanizer im Laufe der Jahre erlebte, konterkarieren die düster-melancholischen Vorwürfe an einen Gott, der unnahbar bleibt, während die Suche nach der Liebe seines Lebens letztendlich ebenso unerfüllt endet und sich COHEN fragt, warum er im Laufe seines Lebens „so viele Türen hinter sich geschlossen hat“.
COHENs Stimme klingt auf seinem definitiv letzten Album fest und ausdrucksstark, rau, aber nie zerbrechlich. Instrumentiert durch eine illustre Heerschar von Musikern, gewinnen die Titel an Tiefe, berühren und verstärken die Wirkung der ohnehin schon eindringlichen Texte. Ein Meisterwerk und ein würdiger Schusspunkt unter ein grandioses Lebenswerk.
FAZIT: LEONARD COHEN hatte noch zu Lebzeiten mit „Thanks For The Dance“ die Reprise zu „You Want It Darker“ geplant und seinem Sohn auf dem Sterbebett in Auftrag gegeben. Mit seinem definitiv letzten Album bekommen die Hörer/Innen den Dechiffrier-Code seines Lebenswerks an die Hand, ohne den einige Fragen unbeantwortet geblieben wären. Jetzt, im Licht der finalen neun Songs, verflüchtigt sich der Nebel und gibt die Sicht frei auf einen Künstler, dessen lebenslange Suche nach dem Sinn des menschlichen Daseins letztendlich ergebnislos bleibt, der „kein Problem damit hatte, auf die Flut und gegen die Arche zu wetten“, obgleich er das Ende bereits kannte, der für etwas „Endgültiges“ kämpfte, nicht für das Recht, „anderer Meinung zu sein“ und in letzter Instanz auch niemandem mehr folgen will und muss: „No one to follow / And nothing to teach / Except that the goal / Falls short of the reach“, („The Goal“).
Mit LEONARD COHEN tritt ein Meister der Poesie ab. Endgültig.
Thanks for the music, Leonard.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.12.2019
Michael Chaves
Leonard Cohen, Jennifer Warnes, Mariam Wallentin, Molly Sweeney, Jessica Staveley-Taylor, Damien Rice, Shaar Hashomayim Men's Choir,
Michael Chaves
Zac Rae, Adam Cohen
Matt Chamberlain, Jamie Thompson
Pietro Amato - Horns (8), Erika Angell - Vocals (8), Kobi Arditi - Trombone (1), Avi Avital - Mandolin (2), Beck - Jews Harp (3), Acoustic Guitar (3), Romain Bly - Trumpet (1), Charlie Bisharat - Violin (1), Jacob Braun - Cello (1), David Campbell - Conductor (1), Cantus Domus - Choir (7), Matt Chamberlain - Drums (8), Percussion (8), Michael Chaves - Bass (1,2,3,4,5,7,9), Acoustic Guitar (1,5,8), Claps (3), Drums (4),Percussion (5)
Columbia/Sony Music
29:21
22.11.2019