Mit "Sinner" verleiht Leslie Stevens dem Singer-Songwriter-Genre sicherlich keine neuen Impulse, doch die hat es offengestanden im Lauf der Jahrzehnte selten gebraucht. Was in der Regel genügt, sind eine schlüssige Akkordfolge, gespielt auf einer Akustikgitarre, und vor allem eine eindringliche Stimme.
Die Künstlerin verfügt bekanntlich über beides, bietet auf ihrem zweiten Soloalbum dann aber doch ein bisschen mehr. Gemeinsam mit Folk- und Indie-Experte Jonathan Wilson, der bereits Dawes oder Father John Misty zu Chart-Ehren verhalf, spannt sie eine nahezu allumfassende Americana-Kulisse auf, die stilistisch alles außer den Rock-Gesten abdeckt, die Stevens einstweilen mit der Band The Badgers abdeckte.
Die Country-Dame aus dem US-Bundesstaat Missouri wirkt dieser Tage deutlich gereift, auch wenn sie mitunter trällert wie eine junge Emmylou Harris, die kein Wässerchen trüben zu können scheint. Das meint man, etwa in der Vorab-Single '12 Feet High' herauszuhören, doch das Album beginnt vermutlich nicht umsonst mit dem melancholischen 'Storybook' dessen Stimmung auch im weiteren Verlauf immer wieder anklingt, sei es im musikalisch paradoxerweise schwungvollen Duett 'Depression Descent' oder während des herzerweichenden Titelstücks.
Selbst den poppigsten Momenten 'Sylvie' und 'Teen Bride' wohnt etwas Gebrochenes inne, und obwohl die Produktion letzten Endes nicht so innovativ oder gewagt klingt wie jene von Harris' bahnbrechendem "Wrecking Ball", deutet die Soundästhetik und Atmosphäre, die Wilson für 'The Tillman Song' vorsah (höre die Art und Weise, wie der Bass eingesetzt wird), recht eindeutig darauf hin, dass er sich von jener Scheibe beeinflussen ließ.
Und nein, sie ist nicht das schlechteste Vorbild für die Studioarbeiten einer Künstlerin gewesen, die ihren Status als Zukunft der US-Folk-Szene mit "Sinner" nachdrücklich unterstreicht.
FAZIT: Auf "Sinner" tritt Leslie Stevens in die großen Fußstapfen einiger Country-Urmütter und -Väter, ergeht sich aber nicht in einem schalen Sound-Revival, sondern inszeniert die Musik des ländlichen Amerikas ohne jeden Kitsch im Rahmen starker Kompositionen, deren Klassiker-Potenzial teilweise schon jetzt augenfällig ist. <img src="http://vg09.met.vgwort.de/na/da90b2dc350642cfac1539406bf461d3" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.08.2019
Lyric Land / Thirty Tigers
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23.08.2019