<b>„Durch Filterblasen und Echokammern verliert unsere Gesellschaft immer mehr die verbindenden Elemente. Wenn wir ehrlich sind, haben wir uns doch viel zu oft in unsere kosmopolitisch-urbanen, akademischen Komfortzonen zurückgezogen. Was geht es mich an? Lieber seine Ruhe haben, statt Fehlentwicklungen die Stirn zu bieten. Doch wir müssen aufstehen gegen das Wegschauen und Schweigen. Deshalb ist es besonders wichtig, das Verbindende anstatt das Trennende hervorzuheben.“</b> (Leslie Mandoki)
Schreckliche zehn Jahre lang hat sich der in Budapest geborene LESLIE MANDOKI Zeit gelassen, um endlich wieder mit MANDOKI SOULMATES und einer Vielzahl der international ranghöchsten Musiker ein Album als MANDOKI SOULMATES zu veröffentlichen. Doch bei diesem Album <a href="https://vimeo.com/344064351" rel="nofollow">„Living In The Gap / Hungarian Pictures”</a>, das noch dazu ein Tribalismus-Konzeptalbum geworden ist, hat sich jede Minute des Wartens gelohnt!
„Living In The Gap / Hungarian Pictures“ ist ein verdammt rebellisches Album geworden, in dem die „Old Rebels“ auf die „Young Rebels“ treffen und nicht nur musikalisch der Politik und Wirtschaft den Marsch ansagen, denn die einzige Frage die noch bleibt, ist <a href="https://www.youtube.com/watch?time_continue=1&v=R2bNNbCG6aA" rel="nofollow">„Are we young rebels with a new dream / Or are we new rebels with an old dream / Or are we young rebels wuth an old dream?“</a>
Doch wie auch immer die Antwort darauf lauten mag, es ist höchste Zeit, <a href="https://www.youtube.com/watch?v=xOPOeY6Vvtw" rel="nofollow"> dass sich die Winde drehen („Turn The Wind“)</a>, und „Now, young rebels shall rule the world / To steer us away from what we have burned.“ Klare Botschaften die versendet werden, denn unsere Erde läuft sonst gänzlich durch die Sanduhr, welche das kunstvolle Digipak- bzw. LP-Cover ziert.
Was MANDOKI mit seinen SOULMATES und der, wie bei ihm gewohnt, grandiosen Musikerriege an Weltberühmtheiten, wir IAN ANDERSON, CHRIS THOMPSON, PETER MAFFAY, BOBBY KIMBALL, AL DI MEOLA und vielen mehr, hier mit diesem sehr unterschiedlichen, aber zugleich schwer beeindruckenden Doppel-Decker, der aus Album 1 „Living In The Gap“ im typischen Soulmates-Sound und Album 2 „Hungarian Pictures“ als Artrock-Album mit modernen Interpretationen ungarischer Folk-Songs, die auf den Themen von BÉLA BARTÓK basieren, raushaut, zählt auf jeden Fall zu den absoluten Highlights der umfangreichen MANDOKI-Veröffentlichungen.
Unfassbar, dass dieser Schlagzeug spielende und singende ungarisch-deutsche Ausnahmemusiker seine große Berühmtheit mit der Stimmungs-Pop-Schlager-Gruppe DSCHINGHIS KHAN, denen <a href="https://www.youtube.com/watch?v=NvS351QKFV4" rel="nofollow">„Moskau“</a> näher als Ungarn lag, errang. Was er heute macht, ist die höchstmeisterhafte Kombination aus seelenvoller U- und eingängiger E-Musik, die sich nicht nur in wundervollen Melodien, sondern auch den namhaftesten Musikern verwirklicht und noch dazu knallhart die Probleme unserer Umwelt thematisiert.
Wer Mandokis Vorgeschichte kennt, der weiß, wie sehr gerade die rebellischen Themen dem in Ungarn geborenen Musiker Herzensangelegenheit sind: „Die Vorgeschichte beginnt 1975, als der junge Budapester Jazzrockmusiker Leslie Mandoki aus der stalinistischen Diktatur auf abenteuerliche Weise durch einen Grenztunnel in den Westen und in die 'Freiheit' flieht. 'Lebe deinen Traum und träume nicht dein Leben!' Das hatte ihm sein Vater am Sterbebett mit auf den Weg gegeben. Nachdem Leslie mit seiner Band als musikalisches Sprachrohr der studentischen Opposition im stalinistischen Ungarn leidvolle Erfahrung mit Zensur und Auftrittsverboten machen musste und ihm mitgeteilt wurde, dass er niemals einen Reisepass erhalten würde, reifte der Entschluss zur Flucht um seine künstlerische Vision in Freiheit zu verwirklichen. Als er dann in Deutschland bei der Aufnahme des Asylantrags nach seinen Plänen gefragt wurde, gab Mandoki zu Protokoll, dass er gemeinsam mit seinen musikalischen Helden JACK BRUCE (Cream), IAN ANDERSON (Jethro Tull) und AL DI MEOLA musizieren wolle. Bei Mandokis ersten Schritten in der Münchner Musikszene halfen ihm KLAUS DOLDINGER und UDO LINDENBERG. Letzterer erinnert sich heute an die Boheme-Zeit mit Leslie: 'Und da haben wir uns alle gedacht: Sind wir froh, dass wir ihn haben!'
Vor fast drei Jahrzehnten schließlich brachte Leslie Mandoki dann tatsächlich erstmals die Größen des Jazz und Rock für den Song <a href="https://www.youtube.com/watch?v=fYwxWl4T_ps" rel="nofollow">'Mother Europe'</a>, den es nun als neue Variante auf 'Living In The Gap' zu hören gibt, zusammen. Seither entwickelte sich Mandokis Jazzrock-Projekt unter dem Namen MANDOKI SOULMATES zu einer weltweit einmaligen Band aus Bandleadern mit 10 gemeinsamen Alben, mehreren Live-DVD's und Blu-rays. Auch in zahllosen Konzerten weltweit, von Shanghai bis New York, von Sao Paulo bis Moskau und den europäischen Metropolen von London bis Paris konnte man die unbändige Spielfreude und Virtuosität der Soulmates live erleben. So adelte ihn die Süddeutsche Zeitung vor einigen Jahren zurecht tiefsinnig als 'Der mit den Helden spielt!' und die Prog-Rock-Legende GREG LAKE stellte klar: 'Eine der besten Bands, die man jemals gehört hat!'“
Das Verblüffendste an dem Doppel-Album ist allerdings die zweite CD, auf der sich Mandoki und seine Begleiter dem klassischen Artrock zuwenden und <a href="https://www.youtube.com/watch?time_continue=1&v=DF2hHa2ydjs" rel="nofollow">eine dreiviertelstündige Prog-Rock-Suite nach musikalischen Vorlagen des 1881 geborenen ungarischen Komponisten, Pianisten und Musikethnologen BÉLA BARTÓK</a> schaffen, die ein eigenständiges kleines Kunstwerk, ergänzt durch eigene Kompositionen und Texte, geworden ist.
Die Idee für „Hungarian Pictures“ hatte Mandoki bereits mit den ehemaligen, leider schon verstorbenen Soulmates-Mitgliedern GREG LAKE von EMERSON, LAKE & PALMER sowie JON LORD von DEEP PURPLE. Leider können beide die Verwirklichung ihrer gemeinsamen Ideen nicht mehr erleben, denn „Hungarian Pictures“ ist unweigerlich eins der besten Werke, die Mandoki bisher schuf und zu dem er feststellt: „Für Bartók stellte die Vielfältigkeit in der Kultur eine Bereicherung dar, denn gerade aus ihren Unterschieden schöpft seine Kunst die Kraft für ihre weitere Entwicklung. Er mischte Klänge und traditionelle Melodien aus unterschiedlichsten Regionen der Karpatentiefebene, um durch die völkerverbindenden Aspekte in der Musik ein Zeichen gegen die aufkeimende Bedrohung des Nationalsozialismus zu setzen. Dieser Gedanke des Verbindenden inspirierte Jon Lord, Greg Lake und mich zu dieser Suite fernab von allen herkömmlichen Formaten.“
Genauso wichtig wie die Musik sind Mandoki auch das Konzept und die zeitkritischen Themen, die er in seinen Texten zu „Living In The Gap / Hungarian Pictures” aufgreift: „Wir erleben heute einen neuen Tribalismus! Eine Aufsplittung der Gesellschaft, eine Schwächung der Mitte und Stärkung der Extreme, die eine differenzierte Balance sowie konstruktive und demokratische Veränderungsprozesse erschweren. Unser Album ist auch ein Statement gegen die Zerstörung unserer Streitkultur. Pöbel-Tweets sind Gift für einen differenzierten Dialog. Unsere Musik ist eben kein gesellschaftspolitischer Tweet, sondern ein Feuilleton-Artikel mit vielen Botschaften. Unsere Musik ist keine SMS, sondern ein mit Füller handgeschriebener Liebesbrief an unser Publikum und an die nicht zu bändigende Lebenslust. Dabei reklamieren wir nicht die allein objektive Wahrheit für uns, sondern versuchen einfach authentisch, integer, ehrlich zu sein und Antworten auf Herausforderungen unserer Zeit zu geben. Diesen Spirit versuchen wir an die nächste Generation weiterzugeben. Denn für die 'Young Rebels' gibt es viel zu tun in Zeiten von Klimawandel, vermüllten Meeren, Welternährungsfragen, atomarer Wiederaufrüstung und dem Wiedererwachen von Rassismus und Antisemitismus.“
Noch dazu spricht aus Mandoki eine bitterböse Enttäuschung über das, was nach dem so hoffnungsvollen Fall der Mauer im Jahr 1989 aus unserer Gesellschaft geworden ist: „Nach dem Fall der Berliner Mauer regnete es Glück vom Himmel. Wir hätten alle Möglichkeiten gehabt, unser gesellschaftspolitisches Leitbild in eine soziale Marktwirtschaft mit ökologischer Verantwortung weiterzuentwickeln, bei der die Menschen im Mittelpunkt stehen. Heute erleben wir stattdessen ein Primat von Egoismus und gierigem Casino-Kapitalismus, der sogar aus der Vernichtung von gesellschaftlichem Mehrwert noch Profit generiert, was wir verniedlichend Liberalisierung der Finanzmärkte nennen. Wir lassen es zu, dass Geld computergesteuert schneller Geld macht, als menschliche Arbeit es jemals leisten kann. Wir hätten Chancengleichheit unabhängig von sozio-ökonomischer und sozio-kultureller Herkunft schaffen müssen und sind damit total gescheitert. In unserer Gesellschaft ist ein extremes soziales Ungleichgewicht entstanden und wir haben die Umwelt irreversibel belastet. Achtsamkeit statt Ignoranz muss wieder unsere Prämisse werden. Die Explosion der Rüstungsausgaben wie in den Zeiten des kalten Krieges zeigt uns eine weitere katastrophale Fehlentwicklung auf.“
Bei all diesen bedrückenden Themen wirkt die Musik der SOULMATES sehr geschlossen und folgt dem warnenden Konzept – oft dynamisch und anklagend, aber auch traurig und zurückhaltend. Das Wechselspiel der Gefühle klingt in jeder Note und mit den leidenschaftlichen Musikern sowie deren Erkennungswert überzeugend durch. Jazz-Rock mit weltmusikalischer Note, wunderschönen Melodien und einem manchmal etwas zu intensiv gehobenen Zeigefinger, was sicher dem einen oder anderen Musikfreund etwas bitter aufstoßen wird. Doch dafür wird er dann auf der zweiten CD „Hungarian Pictures“ mit einer großartigen, progressiven Art-Rock-Suite entschädigt, die textlich allerdings, trotz der Bartók-Orientierung, die Botschaften im Kampf gegen den Tribalismus fortsetzt. Noch dazu ist die Gestaltung des Albums absolut gelungen und das sehr umfangreiche 44-seitige Booklet enthält neben allen Texten natürlich auch jede Menge Fotos von allen Soulmates-Musiker!
FAZIT: Progressiver Jazz- und Art-Rock mit weltmusikalischer Note und der Mahnung: „Tut endlich etwas dafür, diese Welt zu schützen und zu erhalten!“, wird auf „Living In The Gap / Hungarian Pictures” von MANDOKIS SOULMATE mit den namhaftesten Künstlern der internationalen Musik-Szene in leidenschaftlich-überzeugender Form verwirklicht.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.11.2019
Richard Bona, Steve Bailey, Jack Bruce
Leslie Mandoki, Bobby Kimball, Chris Thompson, Ian Anderson, Jack Bruce, Peter Maffay, Nick Van Eede, David Clayton Thomas, Toni Carey, Julia Mandoki, Jesse Siebenberg, Richard Bona
Al Di Meola, Mike Stern
Cory Henry, Tony Carey
Leslie Mandoki, Simon Phillips
Ada Brecker, Bill Evans (Saxophone), John Helliwell (Saxophone und Klarinette), Till Brönner (Trompete), Randy Brecker (Trompete und Flügelhorn), Ian Anderson (Flöte), Leslie Mandoki (Udu)
Sony Music
111:54
11.10.2019