Sage und schreibe acht Stunden und 20 Minuten Musik bieten diese vier schlicht aufgemachten, aber mit informativen Booklets ausgestatteten Doppel-CDs, mit denen Rock-Ikone Manfred Mann sein ganz frühes Schaffen Revue passieren lässt. Die dokumentierte Phase reicht von der ersten Hälfte der 1960er bis zum Beginn des folgenden Jahrzehnts, womit wie bei vielen Gruppen aus jener Zeit ein Wandel vom poppigen Beat hin zu erdigeren Klängen einherging.
Der Brite machte erstmals offiziell Anfang der Sixities von sich reden, als er mit Sänger Paul Jones zusammenarbeitete, was keine fünf Jahre lang währte und lediglich Aufnahmen bei der britischen BBC übriggelassen hat. Bis 1966 entstanden dort Mitschnitte für Sendeformate wie “Saturday Club”, “Saturday Swings”, “Top Gear” oder “Pop Inn”, die neben kurzen Interviewschnipseln auf dem ersten Doppeldecker abgehandelt werden. Die Gruppe, zu der kurz auch der später Cream-Bassist Jack Bruce gehörte, bot seinerzeit noch zart instrumentierte Schmachtfetzen wie 'Come Tomorrow', teils mit Orgel und eindeutig in Richtung Northern Soul (höre Them/Van Morrison) tendierend, ausgerichtet auf die (junge) britische Hörermasse und bisweilen auch aus fremder Feder wie der Standard 'I Put A Spell On You' (NIna Simone u.v.m.).
Auf den nächsten beiden CDs widmen sich die Macher der sogenannten "Mike-d'Abo-Ära", mit der nach drei weiteren Jahren auch die erste stilistische Inkarnation der Manfred Mann Band endete. Neben dem neuen Sänger dürfte Beatles-Zuarbeiter Klaus Voorman am Bass das bemerkenswerteste Mitglied sein, wobei ersterer den häufig arg Fab-Four-lastigen Nummern mit McCartney-artigen Vocals gerecht wird. Unschuldige Singalongs wie 'Cubist Town' oder 'Ha! Ha! Said The Clown' legen am deutlichsten Zeugnis davon ab, wohingegen 'Handbags And Gladrags' (d'Abos alleinige Komposition) oder das Cover von Willie Dixons 'I'm Your Hoochie Coochie Man' noch eher der vorigen Ausrichtung der Formation entsprechen. Die Musiker packen schon kräftiger zu, bleiben aber weiterhin streng den Vorgaben aus Amerika bzw. ihrer englischen Nachbarschaft verhaftet, ohne wesentliche eigene Beiträge zur musikalischen Geschehen ihrer Gegenwart zu leisten. ‘Semi Detached Suburban Mr James’ mit präsentem Mellotron weist aber definitiv den Weg in die ambitionierte Richtung, die Mann im Folgenden einschlagen sollte.
Angesichts des Untertitel "Radio Days & Rarities" von Doppel-CD drei dürfte klar sein, dass Fans des Künstlers hier auf einen Leckerbissen stoßen. Hier steht Manns Schaffen mit Mike Hugg im Brennpunkt, eingespielt in erster Linie für britische, australische und schwedische Radiostationen, teilweise auch in rohen Demofassungen. Der Sound schwankt, die Musikalität ist mitunter atemberaubend, wenn man sich etwa den neunminütigen Proto-Fusion-Jam 'Breakdown' anhört. Zu den Tracks gesellen sich phasenweise regelrecht experimentelle Auftragsarbeiten für Werbefilme (Michelin, Nescafé) und Auszüge aus dem Filmsoundtrack zu "Venus in Furs". Wer die Anfänge des "proggigen" Manfred Mann begreifen möchte, muss allen vier Releases voran diesen dritten kaufen.
Auf dem vierten hört man dann erstmals Mannfred Mann's Earth Band, so wie sie später eine weltweite Fangemeinde schätzen lernen sollte. Auf den beiden CDs darf man Konzerte des Quartetts (u.a. in Paris) sowie mehrere Sessions für Kult-DJ John Peel von BBC Radio 1 bewundern. Die Tracks werden nicht zuletzt aufgrund vieler improvisatorischer Passagen bisweilen über zehn Minuten lang, und der lässige Jam 'Father of Day, Father of Night' bringt es sogar auf fast 20. Darüber hinaus ist die Earth Band unleugbar im Progressive Rock zu verorten, wofür wegweisende wegweisende Eigenkompositionen wie ‘Mercury, the Winged Messenger’ oder ‘Messin’’ bespielhaft stehen. Daneben lebt Mann seinen Bob-Dylan-Fetisch aus (‘Father of Day, Father of Night’, natürlich das legendäre ‘The Mighty Quinn’), obwohl er Interpretationen fremder Stücke eigentlich nie nötig hatte. So oder so: "Radio Days" ist ein Fest für seine Fans und rockmusikhistorisch Interessierte generell.; alternativ gibt es die CDs übrigens auch jeweils als Dreifach-Vinyl.
FAZIT: Eine in quantitativer Hinsicht erschöpfende Aufarbeitung des frühen Werks von Manfred Mann und darüber hinaus ein wichtiges Stück nicht nur britischer Musikhistorie - mit "Radio Days" lassen sich exemplarisch anhand von Organist Manfred Mann gleich mehrere Entwicklungen innerhalb der Szene ab den frühen 1960ern nachzeichnen, weshalb sich die vier Releases auch hervorragend als Einstieg oder zur Vertiefung übergeordneter "Studien" eignen. Ansonsten machen sie (wieder) Lust auf die Studio-Klassiker der Earth Band. <img src="http://vg09.met.vgwort.de/na/2fec0f0ddd8541da9df5c256f3f81bed" width="1" height="1" alt="">
Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.05.2019
Creature / Soulfood
500:02
10.05.2019