Es bleibt spannend im Hause Fish.
Dass Samantha mehr als nur eine fantastische Bluesrock-Gitarristin ist, hatte sie ja bereits mit den Vorgängeralben "Chills And Fever" und "Belle Of The West" bewiesen.
"Kill Or Be Kind", das neueste Werk der Dame, geht den auf diesen beiden Alben eingeschlagenen Weg eindeutig weiter: der an die WHITE STRIPES erinnernde Opener "Bulletproof" mit böser Cigar-Box-Gitarre, verzerrten Vocals und äußerst zeitgemäß klingender Produktion täuscht da nur. "Kill Or Be Kind" geht nämlich noch einen weiteren Schritt weg vom Bluesrock - und zwei weitere Schritte weg vom Rock.
Das Cover, auf dem Sam im Fifties-Greaser-Outfit mit einer Fender Jaguar posiert, gibt die Richtung weit deutlicher vor. Mehr R'n'B (im ursprünglichen Sinne), mehr Memphis-Soul inklusive Bläsern und sogar ein ungewohnter, noch eindeutiger dem Jazz entlehnter Schmelz in der Stimme als auf "Chills & Fever" stehen auf der Scheibe im Vordergrund. Die Americana von "Belle Of The West" ist nur noch eine Erinnerung, ebenso wie der Gitarrenlärm der ersten drei Alben. Dafür bewegt sich Sam nun in vornehmlich ruhigen Gefilden und lässt ihre Stimme ganz weit in den Vordergrund treten. Diese Selbstsicherheit kann sich Miss Fish definitiv leisten, denn fraglos ist sie mittlerweile auch stimmlich zu einer Ausnahmekünstlerin herangewachsen. Den Vergleich mit AMY WINEHOUSE, der zu "Chills And Fever"-Zeiten öfter mal aufkam, kann man hier erneut ziehen – speziell auch aufgrund der stilistischen Ausrichtung. Samantha klingt trotz hohem Balladenanteil freilich weit weniger zerbrechlich als ihre Kollegin aus Camden: nichts auf "Kill Or Be Killed" klingt weniger als "total fucking bad-ass".
Ob sie nun dem Hörer die Wahl zwischen Töten oder Freundlichkeit lässt oder sich entspannt als "Dream Girl" anbietet, Fish macht das mit einer "My way or the highway"-Attitude, die nicht weniger gnadenlos als zu "Black Wind Howlin'"-Zeiten klingt – nur leiser, intimer, eindringlicher und, ja, sexier. Das schafft die Musikerin übrigens auch weiterhin, ohne sich optisch in irgendeiner Form sexistisch anzubiedern: es ist ausschließlich die Musik, welche diese schwüle, aufwühlende Atmosphäre einer höchst schweißgetränkten Hochsommernacht heraufbeschwört. Natürlich wäre das alles nichts, wenn eben nicht ihr ungebrochenes Charisma durch jede einzelne Note des Albums dringen würde. Die Songs sind, mal vom Opener abgesehen, in keiner Weise ungewöhnlich oder progressiv, dafür gibt‘s coole, zeitlose, unangestrengt wirkende melodische R'n'B-Stücke, die auch auf dem frühen Stax-Label eine gute Figur gemacht hätten. Zusätzlich unbestreitbare Star-Qualitäten der Dame machen das Album so zu etwas Besonderem.
Natürlich bedeutet musikalische Weiterentwicklung auch immer, dass man sich von einigen liebgewonnenen Trademarks verabschieden muss. Daher vermisst man eben doch gelegentlich die knackigen so-sahnig-und-trotzdem-bissig-wie-nix-Gutes-Gitarrenleads. Gerade die Einsätze in "Love Letters", "Love Your Lies" oder dem an WILSON PICKETT gemahnenden "Try Not To Fall In Love With You" machen in ihrer Knappheit doch deutlich, wie sehr man das Rauslassen der Klampfen-Sau dann doch vermisst. Dafür muss man sich die Dame wohl weiterhin live anschauen, denn auf der Bühne spielt sie weiterhin so ziemlich alle aktuellen Kollegen ganz ohne Scham an die Wand. Der Klasse von "Kill Or Be Kind" tut das so oder so keinen Abbruch.
FAZIT: SAMANTHA FISH hat offensichtlich weiterhin keine Lust, beim Status quo zu verharren. "Kill Or Be Kind" ist ein weiteres exzellentes Album einer immer noch jungen Musikerin, die sich offensichtlich gerade erst so richtig warmläuft und ständig neue Facetten an sich herausarbeitet. Dabei wirken ihre Experimente aufgrund ihrer Selbstsicherheit und starken Identität weit organischer und weniger kalkuliert als bei Roots-Kollegen wie JOE BONAMASSA, GRACE POTTER oder BETH HART. SAMANTHA FISH ist und bleibt erst einmal das Beste, was dem Blues nach WARREN HAYNES passiert ist.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.10.2019
Rounder Records
45:34
20.09.2019