<b>„So traurig es auch ist, aber ein Teil des Rock‘n‘Roll-Ruhmes ist auch die Selbstzerstörung!“</b> (Max Bemis – Sänger und Gitarrist von SAY ANYTHING)
Puhhh, „Oliver Appropriate“ von SAY ANYTHING ist verdammt schwerer Tobak – darum ist hier die große Frage:
„Womit beginnen?“
Mit dem Konzept hinter dem fiktiven Sänger Oliver?
Oder mit der Musik dahinter?
Eins ist auf jeden Fall klar – das Eine funktioniert nicht ohne das Andere!
Damit ist die Antwort klar – beginnen wir also mit dem textlichen Konzept hinter „Oliver Appropriate“.
Am 16. Oktober 2018 kündigte Max Bemis, der Kopf der seit 18 Jahren aktiven Emo-Indie-Rock-Band SAY ANYTHING, in Form <a href="http://eisley.com/SA/SAY_ANYTHING%E2%80%93%E2%80%93A_GOODBYE_SUMMATION.pdf" target="_blank" rel="nofollow">eines neunseitigen Manifests</a> das Ende der aktiven Laufbahn seiner Band an. Zugleich aber verwies er darauf, dass die letzte Hinterlassenschaft das noch folgende Album „Oliver Appropriate“ sein wird. Ein Konzept-Album, das an das erfolgreiche „...Is A Real Boy“-Album aus dem Jahr 2004 anknüpft. Schock und Neugier wurden auf diese Weise gleichermaßen bei den Fans der amerikanischen Band, die in den 18 Jahren ihres Bestehens jede Menge zu sagen und zu singen hatte, geweckt.
Und natürlich hat man beim Hören von „Oliver Appropriate“ den Eindruck, dass Max Bemis und Oliver einige Ähnlichkeiten aufweisen, denn in seinem Manifest spricht Bemis davon, dass ihn anhaltende mentale Probleme, Depressionen, Süchte sowie die lange Trennung von seiner Familie und seinen drei Kindern, als auch seine Bisexualität, zu der er sich vor nicht all zu langer Zeit öffentlich bekannte, diesen Schritt zwingend notwendig für ihn machten.
Genau mit diesen Problemen schlägt sich auch der Held auf „Oliver Appropriate“ herum – nur dass es bei ihm am Ende dieser tragischen Kette zur schlimmsten Katastrophe für ihn und sein Umfeld kommt.
Oliver ist Sänger einer Band, der sein Leben ausufernd lebt und dabei alle, die ihm nahe stehen, betrügt und so auch seine Freunde verletzt und verprellt.
Zwei Tage begleiten wir Oliver – die letzten zwei Tage in seinem Leben, die damit beginnen, dass er schwer verkatert frühmorgens aufwacht, sich in einen Karl verliebt, den aber anfangs zurückweist, weil er nicht wahrhaben will, dass er bisexuell ist. Tags darauf verliert Oliver seinen Job, versucht nun aber, sich mit und bei Karl zu trösten. Doch nun lehnt dieser ihn wiederum ab, was dazu führt, dass Oliver, rasend vor Wut, Karl umbringt und sich dann in seiner Verzweiflung an dessen Leiche anbindet, mit einem schweren Stein beschwert und so den bereits toten Karl und sich in den Meeresfluten ertränkt.
Olivers fiktive, aber teilweise auch reale, Geschichte begann mit „... Is A Real Boy“ und endet nun mit „Oliver Appropriate“.
Fast beängstigend hören sich diesbezüglich zugleich die Worte von Max Bemis an, wenn er auf die Parallelen verweist: „Ich bin zwar nicht Gott, aber ich bin ein Erschaffer. Bereits 2004 kreierte ich Oliver, auch wenn er damals noch ohne Namen blieb. Und, so leid es mir für dich tut, Oliver, aber ich werde weiterleben... während du verdammt nochmal tot bist. Ja, mein wahrer Junge, am Ende halfst du mir dabei das wahren Leben bis hierher zu überleben.“
Auch SAY ANYTHING müssen wohl konsequenterweise mit Oliver sterben.
Sicher versprachen die einleitenden Zeilen der Review bis hierhin nicht zu viel.
Und dass die Musik die tragische Handlung um einen abgestürzten Punk-Sänger natürlich mit ebenso tragischer „abgestürzter Punk-Musik“ untermalt und betont, ist selbstverständlich, während sich vom Garage- und Alternative-Rock bis Emo und Folk noch jede Menge weitere Einflüsse hinzugesellen.
Recht verhalten beginnt das Album, welches fast ausschließlich aus ein bis zwei Minuten langen Songs besteht, mit hohem Singer/Songwriter-Anteil und poppigen, akustischen Punk-Rhythmen, deren Melodien sich bei <a href="https://www.youtube.com/watch?v=GBYQu3ylStk" target="_blank" rel="nofollow">„Pink Snot“</a> und dem folgenden fast poppigen <a href="https://www.youtube.com/watch?v=_RkkHmLWimM" target="_blank" rel="nofollow">„Daze“</a> sofort einprägen.
Die Welt erscheint noch halbwegs heil, auch wenn die ersten Süchte ihre unüberhörbaren Bahnen ziehen. Aber auch die ersten Schreie – eine echte Bemis-Spezialität – und Spoken-Word-Einschübe machen sich bereits breit. Der Emo-Rock und Power-Pop zieht seine Bahnen und steuert uns immer flotter in Richtung Katastrophe, die wir dann kurz verschieben und unterbrechen müssen, um nach „When I‘m Acid“ die Langspielplatte umzudrehen. Ja, wer sich der Wichtigkeit dieses wohl definitiv letzten SAY ANYTHING-Albums bewusst ist, der sollte sich wohl besser für die Vinyl-Ausgabe mit beigefügtem LP-großen Textblatt samt aller Texte und vielem mehr entscheiden.
FAZIT: Es ist das finale Album, in dem sich nach 18 Jahren der Kreis von SAY ANYTHING schließt. Mit dem Konzept-Album „Oliver Appropriate“ verarbeitet der Kopf der Band seine depressiven Phasen bis hin zu seiner Bisexualität und vollendet mit „Oliver“ einen Charakter, den er 2004 auf „... Is A Real Boy“ schuf und der sich deutlich an Max Bemis Biographie orientiert. Emo- und Alternative-Rock plus etwas Punk und Folk begleiten uns bei diesem musikalischen Seelen-Striptease. Konsequenterweise ist nach diesem Album auch die Band nur noch Geschichte. Eigentlich schade!
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.08.2019
Adam Siska
Max Bemis
Jeff Turner, Max Bemis, Parker Case, Jeff Turner
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Coby Linder
Dine Alone Records
36:19
25.01.2019