In den US-Medien mag man Tanya Tucker gern als Vertreterin des Outlaw Country darstellen, doch dieses Image ist auf die Musik der altgedienten Szene-Musikerin bezogen völlig unzutreffend. "While I'm Livin'" macht 17 Jahre nach ihrem letzten Studioalbum "Tanya" deutlich, dass sie nichts von jener inneren Ruhe, Weisheit und Mainstream-Affinität verloren, sondern diesbezüglich eher noch hinzugewonnen hat.
Die beiden Genre-Promis Brandi Carlile und Shooter Jennings produzierten die stark akustisch geprägte Scheibe. Carlile schrieb die meisten Stücke allein, einige aber auch gemeinsam mit den Hanseroth-Brüdern Tim und Phil sowie 'Bring My Flowers Now' mit der Produzentin, während die Texte zusammen eine Art Tagebuch bilden, das den Weg der Künstlerin auf geografischer wie spiritueller Ebene nachzeichnen soll.
So ist 'The Day My Heart Goes Still' Eloge an Tanyas toten Vater und 'Rich' eine süßliche Ballade über materielle (Un-)Werte mit Banjo sowie Pedal Steel im Zweivierteltakt. Das opulente 'Seminole Wind Calling' glänzt durch gemischtgeschlechtlichen Satzgesang und steht inmitten mehrheitlich plänkelndder Tracks relativ allein da. Sachte Töne dominieren auf "While I'm Livin'", lediglich textlich schürft die gebürtige Texanerin in die Tiefe, wobei der Wunsch, Musiktradition und Werte als Vermächtnis weiterzugeben, ihr Hauptanliegen ist.
Dazu gehört auch die Würdigung geistesverwandter Kolleginnen und Kollegen: 'High Ridin' Heroes' von 1987 könnte Europäern durch David Lynn Jones bzw. dessen Vater Waylon Jennings geläufig sein, Miranda Lamberts 'The House That Built Me' münzte Tucker zu einem minimalistischen Erzählstück um und der im Original recht harte Josefus-Rocker 'Hard Luck' von 1979 wurde wie abzusehen weichgespült.
Dazu passen dann auch das flockige 'Mustang Ridge' und der Video-Track 'The Wheels Of Laredo', eine gospelige Ballade mit Klavier vergleichbar mit dem abschließenden 'Bring My Flowers Now' und früher noch dem sehnsüchtigen 'The Day My Heart Goes Still'.
FAZIT: "While I'm Livin'" ist eine handelsübliche Country-Platte der leisen Töne, mit der Tanya Tucker mit Mitte 40 eine Lebensbeichte ablegt und zugleich in die Zukunft schaut. Vorrang gegenüber der nicht sonderlich verspielten oder ausgefallen arrangierten Musik genießen die Texte der bereits halb legendären Singer-Songwriterin, und darum sollte sich jeder Cowboyhut (auch hierzulande) mehr Zeit als üblich für die Tracks nehmen. Der nächste Winter kommt immerhin bestimmt. <img src="http://vg09.met.vgwort.de/na/d0334f825ed94d239e4ef214e5823ffe" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 16.08.2019
Fantasy / Universal
45:22
23.08.2019