Auf den ersten Blick erscheint es eigenartig, dass in den frühen 80igern eine ULLA MEINECKE, die heutzutage eigentlich stärker mit dem Liedermacher-Genre in Verbindung gebracht wird, gleich zweimal im Rockpalast auftaucht und 1981 sowie 1985 jeweils ein Konzert durchzieht, das von einem begeisterten Publikum aufgenommen wird.
Doch der Blick täuscht, denn die Meinecke ist eine echte deutschsprachige Rock-Röhre mit Ton und Steinen und Scherben im Blut, die bei beiden Auftritten mit großer Rock-Band antritt und bei der neben Bass, Gitarren, Schlagzeug und Tasteninstrumenten auch das Saxofon zum wichtigen Begleiter ihrer Musik wird. Überhaupt passt am besten zu den Ulla-Liedern tatsächlich der für sie so gerne verwendete Begriff Rock-Chansons!
Bei ihrem ersten Rockpalast-Konzert am 18. Juli 1981 im Kölner Sartora Säle lebte die hier noch gertenschlanke Sängerin gerade seit zwei Jahren in Berlin und hatte zwei Alben – „Überdosis Großstadt“ (1980) = natürlich von Berlin inspiriert = und „Nächtelang“ (1981) – veröffentlicht. Berlin, eine Stadt, die mit ihrer bunten Vielfalt und Verrücktheit bei der Liedermacherin wahre Experimentierfreude und den Mut auf neue Wege weckte. Bisher war sie die „Kleine“ vom großen UDO LINDENBERG, der sie protegierte und mit ihm singen ließ, gewesen. Nun aber beeinflussten sie weitere musikalische Freigeister, die sie in ihren Freundeskreis aufnahmen: der SPLIFF-Sänger HERWIG MITTEREGGER zum Beispiel oder der erst kürzlich verstorbene EDO ZANKI und GEORG KRANZ. Das wirkte sich auch maßgeblich auf Meineckes Musik und ihre mitunter bissigen, aber oft auch sehr melancholischen Texte aus. Das war die Anti-NDW, welche hier durch das liedermachende Feuerwerk präsentiert wurde und woran sich die Musikerin heute mit folgenden Worten erinnert: „Es war eine Riesenverantwortung. Ich habe Blut und Wasser geschwitzt. Und eine größere Show als Rockpalast gab es nicht.“
Aber es ist bei den, dank M.I.G., endlich in einer Box mit zwei DVD's und drei CD's erschienenen beiden Rockpalast-Konzerten auch auffällig, dass beiden ein (fast schauspielerisches) Konzept zugrunde liegt, denn: „Selbstbestimmtheit ist mir immer wichtig gewesen.“
Unter diesem Aspekt stellt die sehr gesprächige Sängerin einen deutlich intensiveren Bezug zum Publikum her, das ihr nicht nur wild zujubelt, sondern zugleich ganz genau zuhört, sie beobachtet und die Show regelrecht in sich aufsaugt, wenn sich die Meinecke fast punkig und etwas psychedelisch sowie im besten TON STEINE SCHERBEN-Stil 1981 <a href="https://www.youtube.com/watch?v=Ul3uHZWRbkA" target="_blank" rel="nofollow">„Überdosis Großstadt“</a> präsentiert und RIO REISER so stark auf sie abfärbt, dass man beinah das Gefühl hat, hier würde der weibliche Reiser mit einer Portion MITTEREGGER auf der Bühne stehen.
Zwei Jahre nach diesem Konzert als noch relativ unbekannte, sich auf dem Sprung befindliche Musikerin folgte dann 1983 mit der LP „Wenn schon nicht für immer, dann wenigstens für ewig“ ihr großer Durchbruch, sodass diese Konzert-Retrospektive zwei gänzlich unterschiedliche Facetten präsentiert. Die eine vor und die andere nach ihrem großen Durchbruch. Selbst körperlich offenbart sich ein großer Unterschied, denn die zarte, schlanke, fast spitzbübisch wirkende 81er-Ulla hatte sich zur vollschlanken, recht souverän wirkenden Erfolg-Meinecke gewandelt, die mit <a href="https://www.youtube.com/watch?v=0fdhNqYEa0U" target="_blank" rel="nofollow">„Die Tänzerin“</a>, „Nie wieder“, „50 Tipps“ oder „Schieß die Lichter aus“ ein wahres Hit-Feuerwerk abschoss und noch dazu fast eine Stunde länger als noch 1981 die Rockpalast-Bühne rockte und dazu bemerkt: „Ich empfand mich nach sieben Jahren auf der Bühne noch immer als absoluten Anfänger. Als ich ganz jung war, war ich die Sängerin, die Angst hatte, dass man sie hören konnte. Die Freiheit auf der Bühne – da hab' ich mich hingekämpft. Die Musik ist für mich, wie für den Grafen von Monte Christo der Löffel war, mit dem er sich durch die Mauer in die Freiheit grub. Ich habe das Auftreten immer zu schätzen gewusst, weil es mir nicht leicht fiel und nicht zugefallen ist.“
Von dieser Unsicherheit spürt man gerade bei ihrem zweiten Rockpalast-Auftritt am 29. September 1985 in der Bochumer Zeche kaum noch etwas. Auch ist ihre Band, bis auf den großartigen Saxofonisten RICHARD WESTER, der zu der Zeit auch bei BAP und WAGGERSHAUSEN spielte, komplett neu zusammengesetzt. Das verleiht der Frontfrau, die vor dem Konzert gemeinsam mit ihrer Band noch ein sechsminütiges Interview gibt, zugleich eine andere Aura, die manchmal gar etwas von einer Diva hat, welche ihre Texte nicht nur singt, sondern auch zu leben scheint: „Ihre Sätze wie Torpedos / Und jedes Lachen saß […] Du bist ein Kind auf dünnem Eis / Du schmeißt mit Liebe nur so um dich / Und immer triffst du mich.“
Besonders feurig dabei ist die wirklich perfekt eingespielte Band, welche das Feuer mit Ulla als Frontfrau siedendheiß aufs Publikum überträgt. Immer wieder sucht die Meinecke dabei den unmittelbaren, engen Kontakt zu ihren Bandmitgliedern, räumt ihnen ihre solistischen Freiheiten ein. Hier passt offensichtlich alles – und besonders die musikalische Chemie.
In einem Interview erzählte ULLA MEINECKE einmal, dass sie sich niemals ein von ihr aufgezeichnetes Konzert oder Interview angesehen habe. Wirklich schade – und vielleicht sollte sie für diese beiden beeindruckenden Rockpalast-Aufnahmen einfach mal eine Ausnahme machen.
FAZIT: Insgesamt zweimal rockte ULLA MEINECKE den Rockpalast – einmal im Juli 1981 in Köln und ein weiteres Mal im September 1985 in Bochum. Viel war in der Zeit zwischen beiden Konzerten geschehen, was man nun in dieser von MIG veröffentlichten Hardcover-Box, bestehend aus zwei DVD's und drei CD's sowie einem informativen Booklet, eindrucksvoll hören und sehen kann. Absolut empfehlenswert – ein Highlight deutschsprachiger und verdammt anspruchsvoller Rockmusik mit Liedermacherinnen-Appeal.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 22.10.2019
Erich Räyker, Peter Küchhold
Ulla Meinecke
Carlo Karges, Michael Brandt
Rosa Precht, Georg Kochbeck
Georg Kranz, Christian Evans
Richard Wester (Saxophone, Lyrikon)
MIG Music
379:47
27.09.2019