Man möchte fast sagen, die Newcomer UMÆ sind ein Projekt von Fans für Fans, aber dafür ist die Band viel zu professionell aufgestellt. Fakt ist aber, dass sich die Kanadier Anthony Cliplef, Samy-George Salib und der Isländer Guðjón Sveinssonauf der Progressive Rock-Kreuzfahrt “Cruise To The Edge” kennenlernten und miteinander musizierten. Die Chemie stimmte, die Saat für UMÆ war gelegt. Flugs noch ein paar Hochkaräter wie Adam Holzman, John Wesley, Conner Green und andere dazu geholt, und ein wohlgeformtes Debütalbum war auf dem Weg.
„Lost In The View“ ist eine bunte Spielwiese, die fast wie eine Zusammenfassung dessen wirkt, was Progressive Rock im 21. Jahrhundert noch hörenswert macht. Da gibt es fein ziselierte Harfenklänge, eine überraschend und bestechend eingesetzte Violine („Shame“), fast schon Djent-artige Attacken („Losing Grip_mfit“), fette Mellotron- und weitere Tastenklänge, jazzige Momente, eine Flöte, die eher an CAMEL als an GENESIS oder JETHRO TULL erinnert, selbst Kammermusik, GAZPACHO, Soul und ein bisschen Funk finden Einzug. Was bei unbegabteren Musikern zu einem wüsten Konglomerat hätte verkommen können, binden UMÆ dank ihrer technischen Versiertheit und der großformatigen, einnehmenden Melodien spielend. Zudem wird unnötiger Ballast vermieden, weshalb die Songs die zehn Minuten-Grenzen nur einmal knapp überschreiten und fokussiert Form und Inhalt vereinen.
Ein in jeder Hinsicht unangestrengtes Album, das in Ruhe schwelgen („Joyless“, mit akustischer Steve Hackett-Referenz, „Hold On“) und mit Power losbrettern kann („Turn Back Time“, das SPOCK’S BEARD bestimmt gerne im Programm hätten). „Lost In The View“ ist höchst atmosphärisch, von erstklassigen Musikern gekonnt eingespielt. Hervorragend auch die unterschiedlichen Sänger*innen, die ihre Parts äußerst stimmig vortragen. Thematisch bewegt man sich, allerdings pointierter, in ähnlichen Gefilden wie gerade THIS WINTERS MACHINE auf ihrem Zweitwerk. Die Macht der Erinnerungen und wie sie die Gegenwart prägen. Das kann zu positiven Entwicklungen führen, aber auch zur Ohnmacht angesichts der Last vergangener Erfahrungen. Immer wieder aktuell, individuell wie kollektiv.
FAZIT: UMÆ zeigen mit „Lost In The View“ wie das alte Schlachtschiff Progressive Rock auch heute noch wunderbar funktionieren kann. Eine Art Nabelschau, mit Lust und Laune eingespielt. Ergibt eine schillernde Entdeckungsreise die riesigen Spaß macht. Manchmal haben unselige Kreuzfahrten doch was Gutes.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 04.09.2019
Conner Green, Guðjón Sveinsson, Sveinn Ari Guðjónsson
Anthony Cliplef, Guðjón Sveinsson, John Wesley, Hulda Kristín Kolbrúnardóttir, Helgi Jónsson, Tómas Guðmundsson, Sólný Pálsdóttir
Anthony Cliplef, Guðjón Sveinsson, Eric Gillette
Magnús Jóhann Ragnarsson, Anthony Cliplef, Adam Holzman
Samy-George Salib
Jamison Smeltz (Sax), Sigríður Kristjana Ingimarsdóttir: Cello (4, 5, 11, 12) Þórhildur Magnúsdóttir (Viola), Eyþrúður Ragnheiðardóttir, Sólrún Ylfa Ingimarsdóttir (Violin), Telma Sif Reynisdóttir (Flute), Harpa Stefánsdóttir (Harp)
Eigenpressung/Just For Kicks Music
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09.08.2019