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Victims: The Horse And Sparrow Theory

Stil: Crust

Cover: Victims: The Horse And Sparrow Theory

Obwohl Musik, sowie Kunst allgemein, ein gewisser Eskapismus immanent ist, tut es gut, zwischen all dem trivialen Quark, mit dem Bands für gewöhnlich in ihren Texten um sich werfen, immer mal wieder eine Truppe zu haben, die keine Weltflucht begeht. Die im Gegenteil die Welt genau betrachtet. „An Island Of Reality In An Ocean Of Diarrhea“, um es mal mit einem der besten Plattentitel aller Zeiten zu sagen (Miss Mofet, 2003).

Die Crust-Veteranen VICTIMS wissen nach zwanzig Jahren des Hinschauens genau, zur Darstellung des Bösen braucht es keine Allegorie – keinen Zauberer, Drachen oder Kinderschreck aus religiösen Märchen. Das Böse kommt vom Menschen, es manifestiert sich in seinem Werk. Und er ist zynisch genug, es auszuformulieren, zu etikettieren und sogar noch als etwas Positives hinzustellen.

Womit wir beim ebenfalls hervorragenden Titel dieser Platte wären. Die „Horse And Sparrow“- oder „Trickle Down“-Theorie besagt, dass wenn die Reichen einer Gesellschaft nur reich genug sind, ihr Reichtum durch Konsum und Investition bis in die unteren Gesellschaftsschichten durchsickern und auch deren Wohlstand mehren wird. Das Pferd frisst und frisst also, viel mehr als es verdauen kann, und kackt einen Teil unverdaut wieder aus. Den dürfen sich dann die Spatzen holen, nur müssen sie sich dafür durch die Scheiße baggern.

Wie schön wäre es, wenn zum Beispiel Kreator mal wieder etwas derart Explizites von sich gäben wie auf „Cause For Conflict“, statt ihre Aussagen zu wackenisieren und vom Phantom Antichrist zu salbadern. Wobei das immer noch besser ist, als gleich gar nichts zu sagen zu haben. Ich schweife ab…

VICTIMS bauen ihre Songs auf dem effektivsten und mitreißendsten aller Drumbeats auf, lassen sich aber clevererweise nicht ausschließlich auf die Discharge-Lehre festnageln, deren beste Kopie Meanwhile eh nicht zu toppen ist. Die Tempovarianz ist ähnlich ausgeprägt, dazu kommen jedoch eine für schwedische Bands jeglicher heftiger Couleur so typische, melodische Gitarrenpolitur und die Signature-Rock’n’Roll-Note der Band. Für D-Beat-Verhältnisse ergeben sich geradezu epische Songlängen von bis zu vier Minuten, wobei das sogar sechseinhalbminütige, mit Spoken Word Samples unterlegte Experiment „We Fail“ dann schon sowas wie eine Crust-Opera wäre. Demzufolge bietet die wiederum typische, knappe halbe Stunde Spielzeit auch nur acht Stücke auf, welche allerdings sämtlich ins Schwarze treffen. Als Anspieltipp taugt der den Stil der Truppe perfekt auf den Punkt bringende Opener und Titelsong – wer hier nicht in heftigste rhythmische Zuckungen verfällt, hat vermutlich einfach keine Geile-Mucke-Rezeptoren in seinem Motocortex.

Verbreitete Schwächen unter Extrem-Punk-Bands sind schrottige Produktionen und schlampiges Handwerk. Nur wenige können (oder wollen) sich von diesem beinahe zum Konzept erhobenen Dilettantismus emanzipieren – von den musikalisch wirklich dreckigen gar keine. Doch VICTIMS versuchen nicht, Alles-Kaputtschlagen-Kommandos wie Skitsystem, Disrupt, Driller Killer oder Hellshock auf der Schmutzspur noch zu überholen, lassen sich in dieser Hinsicht eher mit Disfear oder Tragedy vergleichen. So sprengt die Scheibe für diese Art Musik keine Geschwindigkeitsrekorde, ist dafür aber souverän gespielt und als brutal knallende Wall Of Sound produziert.

FAZIT: Mehr ist nicht zu sagen, als: Holt euch die Scheibe! Wer auch beim Musikhören nicht auf Intelligenz verzichten mag, seine Wut irgendwie sinnvoll kanalisieren muss und mit Bands wie den genannten, zuzüglich Martydöd, Wolfbrigade, From Ashes Rise oder den ollen Anti Cimex, was anfangen kann, muss dieses Teil haben.

Punkte: 12/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 10.08.2019

Tracklist

  1. The Horse and Sparrow Theory
  2. The Birth of Tragedy
  3. There’s Blood on the Streets
  4. We Fail
  5. Fire Below
  6. The Sea and Poison
  7. Hell is Full of Good Intentions
  8. Revenge of Our Fathers

Besetzung

Sonstiges

  • Label

    Relapse

  • Spieldauer

    28:17

  • Erscheinungsdatum

    28.06.2019

© Musikreviews.de