Gerade erst war er mit den EAGLES auf Europatournee und schon erscheint mit „Okie“ sein neues Album, das genau die Stimmungen in sich trägt, welche wir auch bereits im „Hotel Californaia“ mit den musikalischen Adlern erleben durften. VINCE GILL hat nicht nur eine tief poetische Americana-Seele, sondern auch ein Gefühl für zarte, einnehmende Country-Melodien und Texte, die sofort zu Herzen gehen.
Unfassbar auch, dass VINCE GILL im Laufe seines langen Musikerdaseins auf mehr als 1.000 Alben anderer Musiker mitwirkte, den Country gehörig entstaubte und so klingt, als würde er sich alle Nase lang ein musikalisches Stelldichein mit GERRY RAFFERTY, BRUCE HORNSBY, CHRISTOPHER CROSS und MARC COHN geben.
Und dann wären da natürlich noch die 2016 verstorbenen Country-Legende MERLE HAGGARD, den Gill seinen letzten Song <a href="https://www.youtube.com/watch?v=hiGW-TOiPG4" target="_blank" rel="nofollow">„A World Without Haggard“</a> sogar namentlich widmet, genauso wie GUY CLARK, der ebenfalls 2016 verstorbene Country-Musiker, den er mit <a href="https://www.youtube.com/watch?v=D0XE9DKgQzk" target="_blank" rel="nofollow">„Nothin‘ Like A Guy Clark Song“</a> würdigt. Überhaupt spielt die Country-Musik auf diesem Album wie im Leben des 62-jährigen VINCE GILL, der bereits 21 Country-Grammy-Awards abräumte, eine riesige Rolle, ohne jedoch in platt(itüd)e Country-Klischees abzurutschen. Selbst Country-Skeptiker, die aber wert auf gute Singer/Songwriter-Songs legen, werden „Okie“ sicher genauso mögen wie diejenigen, denen es schwer fällt, sonst aus dem Country-Mustopf zu kriechen.
Sein sehr persönliches Album beginnt VINCE GILL gleich mit dem Bekenntnis: <a href="https://www.youtube.com/watch?v=nGyXcGJnnM4" target="_blank" rel="nofollow">„I Don‘t Wanna Ride The Rails No More“</a> und stellt darin klar, dass dieses Leben auf Messers Schneide, welches er so lange ge-, ver- und überlebt hat, vorbei – aber natürlich nie vergessen – ist. Nun gibt es Dinge und vor allem Menschen, für die es sich lohnt, zur Ruhe zu setzen und den Frieden liebevoller, familiärer Gemeinschaften zu genießen. Oder wie man‘s als Country-Musiker sicher sagen und singen würde: Wurzeln zu schlagen, statt Wildpferde zu bändigen. Gill stellt neue Weichen – und es sind keine schlechten, aber eben deutlich ruhigere.
VINCE GILL ist ein Musiker mit riesigem Charisma, egal, ob er singt, Gitarre spielt, textet – oder wie im Falle von „Okie“ sogar co-produziert.
Einer der bewegendsten Songs auf dem Album ist <a href="https://www.youtube.com/watch?v=Sd8r7M9GXac" target="_blank" rel="nofollow">der Brief an seine Mutter</a>, den er schreibt, um sich am Ende mit der Feststellung bei ihr zu entschuldigen: „There‘s no one in this world I love like you […] I can never pay you back the love I owe“.
Aber auch Gills tiefer Glaube an Jesus spielt wiederholt in den oft hymnisch klingenden Songs oder der wundervollen, wortwörtlich himmlischen Ballade <a href="https://www.youtube.com/watch?v=HSR5Jhygs0k" target="_blank" rel="nofollow">„When My Amy Prays“</a> eine wichtige Rolle, ohne dabei jemals selbst in einen Prediger-Ton zu verfallen. Etwas, was vielen strenggläubigen Musikern mitunter sehr schwer fällt.
Allerdings werden alle Freunde abwechslungsreicher, dynamischer Musik mit „Okie“ nicht sehr glücklich werden, denn das 2019er-Gill-Album kommt vom Herzen des Musikers für die Herzen seiner Hörer – und die werde sich bei „Okie“ weit, weit öffnen.
FAZIT: Mit „Okie“ präsentiert VINCE GILL ein weiteres unglaublich gefühlvolles, fast sentimentales Album, das Steine erweicht, mitunter Tränen hervorruft und zwischen Country und Americana ganz großartige Texte erklingen lässt. VINCE GILL ist und bleibt der Alte – und das ist auch verdammt gut so.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.09.2019
Michael Rhodes
Vince Gill
Vince Gill, Tom Bukovac, Jedd Hughes
John Jarvis
Fred Eltringham
Paul Franklin (Steel Guitar), Charlie Worsham (Banjo), Vince Gill (Dobro)
MCA Nashville/Universal Music
49:49
23.08.2019