<b>„'Live in Bochum' füllt – wie auch 'Live in Lagos' – eine Lücke in Kriegels musikalischem Werk.“</b> (Textzitat aus dem Booklet zur Doppel-CD)
Für diese Veröffentlichung von Aufnahmen des legendären Jazz-Gitarristen, aber auch Zeichners und Buchautoren VOLKER KRIEGEL müsste MIG Music einen Ehrenpreis für bisher verborgene, hervorragende Jazz-Aufnahmen erhalten!
Der mit 60 Jahren im Jahr 2003 viel zu früh verstorbene Ausnahme-Gitarrist Kriegel, der seit 1979 als anerkannte Größe in der nationalen und internationalen Jazz-Szene etabliert ist, erfährt nach „Mild Maniac“, „Schöne Aussichten“ und „Biton Grooves“ bei MIG mit „Two Concerts – Lagos '79 / Bochum '90“ eine ganz besondere Ehre, denn hier gibt’s aus der tiefen Versenkung der Live-Archive zwei völlig unterschiedliche Live-Konzerte in sehr guter Sound-Qualität in einem Digipak-Doppelalbum mit umfangreichen Booklet, das in deutscher und englischer Sprache ausführliche Informationen zu beiden Konzerten und viele Bilder enthält, vereint. Ein wahrer, bis dato noch nie zu genießender Jazz-Leckerbissen für alle Kriegel- und Jazz-Rock-Freunde.
Die erste Live-CD führt uns zurück in das Jahr 1979 und territorial weit entfernt nach Afrika, wo Kriegel gemeinsam mit seinem Mild Maniac Orchestra im nigerianischen Lagos eins von mehreren Konzerten gab, die ihn durch elf Länder von West- und Ostafrika führten. Idee der Konzertreihe war der kulturelle Austausch, bei dem sich afrikanische und deutsche Musiker auf Augenhöhe begegnen sollten. Und wie Kriegels Frau Ev im Booklet berichtet, lief vieles dabei nicht gerade – nennen wir es mal euphemistisch – reibungslos ab. So wünschte sich der ehemalige deutsche Botschafter, der nicht sonderlich von afrikanischer Musik angetan zu sein schien, doch tatsächlich von Kriegel, dass er „ja nicht zu differenziert“ spielt und vielleicht mit einem erfolgreichen Hit von Boney M. Sein Konzert eröffnet, worauf Kriegel wortwörtlich folgendermaßen reagierte: „Ich bin innerlich entrüstet, lehne strikt, aber diplomatisch ab, versuche ihm klarzumachen, dass wir nur überzeugen können, wenn wir unsere Musik überzeugend und mit viel Power spielen; wenn wir uns nicht verstellen.“
Und dann geht dieser fantastische – mit viel weltmusikalischen und perkussiven Elementen angereicherte Jazz-Rock wirklich voller Power ab und reist die Afrikaner von den nicht vorhandenen Hockern und lässt sie glücklich tanzen und ausrasten. Endlich vereint – und doch so schnell wieder getrennt. Musik kann eben das, was ein Haufen hirnloser Politiker und geldgeiler Wirtschaftsmagnaten nicht hinbekommen. Ja, Musik heißt eben Gefühl, aber nicht Macht und Gier!
Während des aufgezeichneten Auftritts hatte die Kriegel-Band etwa die Hälfte ihrer extrem anstrengenden und zugleich einzigartigen Tour hinter sich, waren perfekt eingespielt und präsentierten eben nicht den deutschen Disco-Pop, sondern die deutsche Jazz-Rock-Szene par excellence, wobei ihre Stücke eine Auswahl aus den Alben „Tropical Harvest“ (1976), „Octember Variations“ (1977) und „Elastic Menu“ (1978) waren.
MIG stellt zu der Afrika-Tournee noch fest: „Bei der Sichtung von Kriegels persönlichem Bandarchiv fanden sich die Mitschnitte der Afrika-Tournee auf insgesamt 15 Tonbändern mit rund 30 Stunden Konzertaufnahmen! Von den vorliegenden Mitschnitten zeigte dieses abendliche von zwei Konzerten in Lagos die überzeugendste Spiel- und Aufnahmequalität.“
Ganz anders als das Lagos-Konzert vom 27. Januar 1979 dagegen der Auftritt am 27. Mai 1990 im „Kulturbahnhof“ von Bochum. Hier jedenfalls erwartete niemand Boney-M-Rhythmen, sondern das, was sie in purer Live-Perfektion bekamen: deutschen Jazz Rock der absoluten Weltklasse.
Kriegel trat mit (s)einer jungen Jazz-Band auf, in der alle Musiker komplett ihr improvisatorisches Talent entfalten durften und gerade dadurch so herrlich geschlossen wirkten. Ein blindes Zusammenspiel eben. Und mit „Palazzo Blue“ legen die Fünf ein 25-minutiges Spektakel voller Überraschungen und Stilwechsel hin, bei dem die Musiker an ihren Instrumente ihre solistische Brillanz ausgiebig präsentieren dürfen.
Das letzte Stück des Konzerts verweist zugleich auch auf die weiteren Kriegel-Betätigungsfelder. „Metro Moskau“ ist inspiriert von Kriegels Zusammenarbeit mit Bettermann im Rahmen des Dokumentarfilms „Metro Moskau – Die Stadt unter der Stadt“ (1985) für den Filmemacher Wolfgang Mackrodt.
Bei diesem Konzert spielte VOLKER KRIEGEL seine rote Gibson ES-345, welche vom Gitarrenbauer Peter Coura von Stereo- auf Normalbetrieb modifiziert worden war. Durch einen zusätzlichen Transistorverstärker konnte Kriegel den Sound der Gitarre so zwischen fein moduliert und extrem angezerrt klingen lassen. Und mit „Octember Variation“ gibt’s sogar eine Art Jazz-Rock-Ballade zu hören.
FAZIT: Zwei meisterhafte Jazz-Rock-Konzerte aus einer ganz unterschiedlichen Zeit und Region. Zusammengeschweißt durch das perfekte Live-Spektakel um die Bands von VOLKER KRIEGEL. 1979 gemeinsam mit dem MILD MANIAC ORCHESTRA im nigerianischen Lagos und 1990 im Bochumer Ruhrpott mit eigener Band. Entdeckungen aus dem privaten Live-Archiv des viel zu früh verstorbenen Jazz-Gitarristen. Noch dazu in sehr gutem Sound. Zwingend notwendig für alle Jazz-Rock-Fanatiker und natürlich VOLKER KRIEGEL-Fans!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 02.12.2019
Hans Peter Ströer, Michael Schürmann
Volker Kriegel
Thomas Bettermann
Evert Fraterman, Hans 'Batt' Behrendt, Thomas Alkier
Wolfgang Engstfeld, Christof Lauer (Saxofone), Uli Beckerhoff (Trompete)
MIG Music
133:11
25.10.2019