XENTRIX gehören einer gar nicht so kleinen Gruppe von Metal Bands mit vergleichbarem Werdegang an. Erstem Erfolg mit den Klassikern der Achtziger folgen die Experimente der Metal-Diaspora der Neunziger, dann die Auflösung. Nach Jahren bekommt man wieder Lust und kehrt zunächst auf die Bühnen zurück, was das Feuer endgültig neu entfacht und eine neue Platte nach sich zieht.
Quasi alle Bands, die diesen Weg so oder ähnlich gegangen sind, orientieren sich auf ihren Reunion-Alben an ihrem Frühwerk und ignorieren die übel beleumdeten, stilistischen Schlenker der Saure-Gurken-Zeit.
Das ist bedauerlich, stellen diese doch – Achtung, steile These – im Allgemeinen die Höhepunkte der jeweiligen Diskographien dar oder sind den Klassikern zumindest ebenbürtig (letzteres gilt für das hauseigene „Scourge“). Ganz sicher jedoch liegt dem künstlerischen Reboot, ebenso wie dem Frühwerk, ein Maß an Inspiration und Schöpfungskraft zugrunde, welches die konsensgeilen Malen-nach-Zahlen Scheiben der Jetztzeit nicht besitzen.
Es sei denn…
Tja, es sei denn, man kommt mit einem Album um die Ecke, das zwar dem klassischen Pfad folgt, aber beweist, wie einnehmend, wie substanziell auch solche Kompositionen nach wie vor sein können, wenn sie mit Stil und Finesse dargeboten und der nötigen Kreativität unterfüttert sind.
Dabei scheinen die Bedingungen auf dem Papier alles andere als günstig, denn Aushängeschild Chris Astley (Gesang/Gitarre) ist nicht mehr in der Band. Da Sängerwechsel ja immer besonders kritisch sind, widmen wir uns also zunächst dem Neuen und stellen fest: Jay Walsh (Bull Riff Stampede) ist der größte Glücksfall und beste Nachfolger des beliebten Ur-Frontmannes, den die Band sich wünschen kann. Nicht nur klingen die Stimmen der beiden beinahe zum Verwechseln ähnlich, was angesichts der markanten Stimme Astleys umso mehr erstaunt, Walsh bringt zudem gleichzeitig eine eigene Note und somit das in die Band, was den meisten heutigen Thrashern fehlt: Gesang mit Identität und Charakter. Kein Nachäffen absurder ästhetischer Imperative wie atonalem Krähen, überrissenem Kreischen, infantilem Kieksen, stattdessen wütendes Grollen mit großer, voluminöser, aber jederzeit kontrollierter Stimme. Im Detail singt Walsh etwas kerniger als Astley und dafür etwas weniger melodisch, doch sorgfältig phrasierend, ohne ins Gebrüll zu verfallen und so das Wesen der Band grundlegend zu verändern. Wie sehr XENTRIX mit beiden Frontern nach sich selbst klingen, dokumentiert ein Vergleich von Live-Mitschnitten der Reunion-Tour mit Astley und neueren mit Walsh. Wenn dort relevante Unterschiede auffallen, dann dass Astley mit seiner Erfahrung der routiniertere Entertainer ist, Walsh aber etwas mehr Dampf hat. Thrash-Fronter von Weltklasseformat sind beide, zudem spielt der eine wie der andere scheiß gut Gitarre.
Nun kann ein Sänger natürlich so gut sein wie er will, wenn die Songs nichts taugen. Hier ist eine gewisse Aufmerksamkeit gefragt, denn die Hooks fallen zunächst nicht mit der Tür ins Haus. Dies ist ein Album, das wiederholt und am Stück gehört werden will, um seine Widerhaken ins Hirn des Hörers zu schlagen – dazu aber auch einlädt. Es ist schlicht eine Freude, dieser tight spielenden Maschine (keine Studiotricks nötig, die können’s wirklich) dabei zuzuhören, wie sie einem ihre zehn energiegesättigten Anspruchsthrasher um die Ohren haut. Die ganze Scheibe enthält kein einziges schwaches Riff (das ist wörtlich zu nehmen: nicht eines) und bewegt sich dabei in etwa innerhalb der Grenzen der ersten beiden Alben. Der Opener und Titelsong markiert das Terrain mit ruppiger E-Saiten-Folter und melodischen Licks, welche bei dieser Truppe nicht wie hineingeklemmtes Gedudel wirken, sondern genau da hin gehören. „There Will Be Consequences“ oder „Bleeding Out“ erinnern daran, dass XENTRIX nie Geschwindigkeitsrekorde gebrochen haben – dadurch aber im Uffta-Uffta-Modus Wucht und Schwere entstehen lassen, ohne dass der Thrash-Rahmen verlassen würde. „The Truth Lies Buried“ zeigt, dass der Band auch Midtempo und etwas mehr Gesangsmelodie stehen, während „Let The World Burn“ dann, zum Titel passend, ein in schönster Thrash-Attitüde angepisster Schlag vors Fressbrett ist. So ließe sich fortfahren, die Hookline in „The Red Mist Descends“, der Zorn von „Deathless And Divine“ und andere Aspekte hervorheben.
Oder wir kriegen an dieser Stelle die Kurve zur Zielgeraden und sagen: „Bury The Pain“ ist eine großartig geschriebene Platte voller Grower, die hartnäckigsten Wiederholungszwang auslösen (zwei Wochen Dauerrotation im Hause des Rezensenten) und sich demnach sehr schnell zu knallharten Hits entwickeln. XENTRIX schaffen das unter Wahrung ihres Signature-Sounds bei gleichzeitigem Transport ins Hier und Heute, womit die Scheibe im Prinzip sehr viel stimmiger den nächsten Schritt nach „For Whose Advantage?“ darstellt, als es das kraftlose „Kin“ seinerzeit tat. Obwohl die Produktion die übliche tote Plastikwüste darstellt (Sneap-Standard-Schrott die 100.000ste), strahlen die Stücke Authentizität, adulte Ernsthaftigkeit und trockene Härte aus und kultivieren somit Primärtugenden des Thrash. Als kleines Ärgernis am Rande geht gerade deshalb das pubertäre, kitschig bonbonbunte, mithin völlig beschissene Artwork durch, stammt es doch exakt aus der Ecke des Metal, der gegenüber sich die Scheibe ansonsten musikalisch wie inhaltlich so erfolgreich abgrenzt.
FAZIT: Granatenstarke Songs mit Suchtfaktor, glänzende Ausführung, eine exzellente neue Besetzung – XENTRIX sind für die Zukunft hervorragend aufgestellt. Bleibt zu hoffen, dass das nötige Glück auf dem Fuße folgt und sie dabei bleiben. Es wäre zu schade, wenn diese Platte keine Fortsetzung erführe. Zunächst gilt freilich: Wer auf Thrash mit Klasse und ohne kindischen Quark abfährt, kommt an dieser Scheibe nicht vorbei.
P.S. Auch empfohlen sei an dieser Stelle HELLFIGHTERs „Damnation’s Wings“ (<a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2011/Hellfighter/Damnations-Wings/" target="_blank" rel="nofollow">Review hier</a>), bei denen Kristian Havard und Dennis Gasser noch einmal gemeinsame Sache mit XENTRIX-Interims-Fronter Simon Gordon („Scourge“) machen. Melodischer, aber ebenfalls eindrucksvoll und klar erkennbar als Geisteskind der beiden Altvorderen.
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.06.2019
Chris Shires
Jay Walsh
Kristian Havard, Jay Walsh
Dennis Gasser
Listenable Records
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07.06.2019