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Reviews

Adam Lambert: Velvet

Stil: Pop / Funk

Cover: Adam Lambert: Velvet

Die Halbwertszeit diverser Casting-Sternchen scheint von Land zu Land gravierend zu variieren. Während der deutsche Ableger DSDS für die jeweils erfolgreichsten KandidatInnen maximal als Sprungbrett einer vergleichsweise bescheidenen, nationalen Karriere taugte, brachte das amerikanische Pendent „American Idol“ mit DAUGHTRY, KELLY CLARKSON und ADAM LAMBERT gleich drei Musiker hervor, die den Sprung über den großen Teich schafften und zu einer Weltkarriere durchstarteten.

Dass ADAM LAMBERT durch seine Zusammenarbeit mit Roger Taylor und Brian May als Ersatz für den 1991 verstorbenen Freddie Mercury zusammen mit den beiden noch aktiven Gründungsmitgliedern (Bassist John Deacon sah das Kapitel QUEEN mit dem Tod des legendären Frontmanns als beendet an) schon mehrfach auf QUEEN-Welttournee unterwegs gewesen ist und in der Zwischenzeit alle American Idol-Stars hinter sich gelassen hat, konnte man in dieser Form nicht prognostizieren, zumal Lambert Anno 2009 lediglich Platz zwei belegte.

Aber auch seine bisher veröffentlichten Soloalben sorgten für enorme Umsatzzahlen, die Hitsingle „Whataya Want From Me“ brachte Lambert eine Grammy-Nominierung ein und konnte sich in allen bedeutenden Charts rund um den Globus platzieren. „Velvet“ ist bereits Album Nummer 4 des Amerikaners und deutet einen leichten Stilwechsel an, den schon das Vorgängerwerk einleitete. Die Abwendung vom Weichspül-Pop des Debüts vollzieht Lambert auf „Velvet“ indessen konsequenter als erwartet. Deutlich eckiger, deutlich funkiger und unter deutlich gesteigertem Einsatz seiner Falsett-Stimme, aber nicht minder unterhaltsam präsentiert sich das Werk, das musikalisch den Wunsch nach Emanzipation LAMBERTs von der Band bedeutet, in der er im Nebenberuf versucht, die Fußstapfen einer Legende auszufüllen.

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„Velvet“ eröffnet das Album im Retro-Sound, insbesondere die Keyboards erinnern an 70er Jahre Funk á la RICK JAMES, doch spätestens bei „Superpower“, einer nach PRINCE klingenden Nummer, teilt LAMBERT kräftig gegen diejenigen aus, die versuchen, ihn „in eine Kiste zu stecken“, um ihn zu etwas zu machen, das er nicht ist. Er ist „angepisst“ und fordert alle „Hexen und Dämonen“ auf, ihm besser aus dem Weg zu gehen. Die gesanglichen Kiekser, die der Sänger hier verwendet, finden sich in ähnlicher Form auch immer wieder bei MICHAEL JACKSON, dessen genretypischen Basslines Lambert ebenfalls inspiriert haben. Somit ist die Marschrichtung des Albums klar abgesteckt, mit dem Sound der Königin unter den Rockbands hat „Velvet“ nicht viel zu tun. „Stranger You Are“ liefert reinrassiges Soul-Feeling mit tollen Bläsersätzen und spinnt den roten Faden des Ausbrechens weiter, die Textzeile „weil du der Fremde bist, wollen sie dich weiter in der Dunkelheit gefangen halten und versuchen dich zu zerreißen“ untermauert den Versuch, bestehende Ketten zu sprengen, um in Zukunft frei zu sein, auch frei für eine neue Liebe, die im grandiosen „Loverboy“ thematisiert wird.

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„Roses“ ist eine Pop-Funk-Nummer von Weltklasse, deren Bassline selbst COOL&THE GANG zur Ehre gereichen würde, thematisiert die zwiespältigen Gefühle Lamberts, der sich nicht sicher ist, ob sein Loverboy (Lambert ist bekennend schwul) wirklich tiefere Gefühle für ihn hegt, oder ob sich die Beziehung nur auf physische Zweisamkeit beschränkt. „Closer To You“ steht exemplarisch für den Versuch Lamberts, auch gesanglich Eigenständigkeit zu kreieren, eine Mega-Ballade, die zunächst mit einem Piano-Intro startet, das THE BEATLES und deren unsterbliches „Let It Be“ zitiert und in der Folge die enormen Fähigkeiten des Sängers demonstriert.

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Die gewonnene Freiheit nutzt Lambert zu weiteren Pop-Eskapaden. „Overglow“ und „Coming In Hot“ mit pumpenden Basslines haben eindeutigen Hit-Appeal, die Gesangsleistungen sind einmal mehr über jeden Zweifel erhaben, „On The Moon“ mit jazzig-funkigem Arrangement ist ein weiteres Highlight des Albums, voller Inspiration und genialer Ideen, die es zu entdecken gilt. „Ready To Run“ vermittelt fantastische STEREO MC-Vibes, ein Song, der sich für das Abspielen in Endlosschleife eignen würde, ohne je langweilig zu wirken.

Somit ist es dann für Lambert letztendlich auch möglich, die Welt mit anderen Augen zu sehen. „New Eyes“ bedeutet den Aufbruch in eine neue Form der Wahrnehmung und lässt in ihm die Erkenntnis reifen, blind gewesen zu sein und bisher nicht alles gesehen zu haben, das er hätte sehen sollen. Als Ausblick gibt er die Parole aus, sich in Zukunft nur noch auf sein Bauchgefühl zu verlassen. Das abschließende „Feel Something“ ist somit nicht nur der letzte Titel des Albums, sondern die Quintessenz des Longplayers. Die Erkenntnis, sein Herz bisher an die falschen Orte und Personen verschenkt zu haben sowie die Einsicht, Mauern gebaut zu haben, die niemand einreißen konnte, unterstreicht die Verletzlichkeit des Künstlers, der das Fehlschlagen dieser Versuche einräumt und Besserung gelobt, der seinem Ich nun den Freiraum zu Lieben einräumen will, denn auch wenn „es nicht genug sein sollte, ist es immerhin besser als nichts“.

FAZIT: ADAM LAMBERT ist weitaus mehr als es das Kürzel QUEEN +1 - unter dem der Sänger zusammen mit den Legenden MAY und TAYLOR ständig auf Welttournee unterwegs ist - vermuten lässt. „Velvet“, sein viertes Album, unterstreicht die Ambitionen LAMBERTs, sich als Solokünstler von seinen übermächtigen Mitstreitern zu emanzipieren. Das Ergebnis ist fesselnd, in jeder Hinsicht faszinierend und frisch, obwohl LAMBERT reihenweise Funk- und Popgrößen zitiert, denen er allerdings mindestens das Wasser reichen kann.

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 24.03.2020

Tracklist

  1. Velvet
  2. Superpower*
  3. Stranger You Are
  4. Loverboy
  5. Roses (feat. Nile Rodgers)*
  6. Closer To You*
  7. Overglow*
  8. Comin In Hot
  9. On The Moon*
  10. Love Dont
  11. Ready To Run*
  12. New Eyes
  13. Feel Something
  14. *Anspieltipp

Besetzung

Sonstiges

  • Label

    Empire

  • Spieldauer

    44:20

  • Erscheinungsdatum

    20.03.2020

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