Der Titel dieses Albums mag Spektakel und Lärm suggerieren, doch BRADBURYS zweiter Longplayer erobert die geneigte Zuhörerschaft auf eher subtile Art und Weise. Und spätestens, wenn der letzte Ton von „Talking Dogs & Atom Bombs“ verklingt, verfestigt sich die Gewissheit, hier etwas Besonderes gehört zu haben!
Die schrittweise Vereinnahmung beginnt bereits mit dem forschenden Blick des Hund-Menschen auf dem Cover, einem Werk des New Yorker Künstlers Henry R. Glovinsky; sie findet ihre Fortsetzung im Zweifeln darüber, ob man es hier wohl mit einer vollgepackten EP oder doch eher mit einem schmächtigen Longplayer zu tun hat. Die Antwort kennt man eine knappe halbe Stunde später: „Talking Dogs & Atom Bombs“ ist ein Shortplayer, einer mit lang anhaltender Wirkung allerdings.
DARRIN BRADBURY wuchs in New Jersey auf und zeigte schon früh Interesse am Unterhalten, vielleicht nicht zuletzt seiner Mutter wegen, die als Zirkus-Clownin Karriere machte. Gitarre zu spielen lernte er den eigenen Worten nach, um seine Geschichten in Songs verpacken zu können – zum Aufschreiben seien weder Handschrift noch Grammatikkenntnisse ausreichend gewesen…
„Talking Dogs & Atom Bombs“ wurde innerhalb zweier Tage in Nashville eingespielt, produziert hat das Album Kenneth Pattengale (The Milk Carton Kids). Die elf Songs des Albums sind allesamt kurz, bloß zwei von ihnen dauern länger als drei Minuten. BRADBURY sagt dazu: „In the writing of this album it was important to me that the song was over when the thought was over. It wasn’t about having to fill a certain amount of space.“ Macht nicht schon allein diese Einstellung den Mann zu einem liebenswerten Zeitgenossen?
Einzelne Songs aus „Talking Dogs & Atom Bombs“ als Highlights herauszupicken ist schwierig. Den Titelsong vielleicht, in dem BRADBURY zur Begleitung von Twang-Gitarre und Orgel zum Schluss kommt, dass niemand wirklich eine Ahnung von irgendwas hat? Oder „Breakfast“, das mit der tragischen Liebesgeschichte eines Eichhörnchen-Paares beginnt und mit der Unfähigkeit endet, auf die Frage „Wie geht’s dir?“ zu antworten?
„The Trouble With Time“ erzählt von gedanklichen Reisen in die eigene Vergangenheit – und vom Risiko, sich dabei zu verfahren: Ein Kleinod von einem Song, mit dezent-schönen Gesangs-Harmonien von Margo Price.
Schonungslos ist BRADBURYS Sicht auf „The American Life“. Von feierlichen Orgelklängen umrahmt singt er von Leuten, die ihren Blues in der Shopping Mall zuschütten sowie von identischen Big Macs im ganzen Land. Der Song nimmt trotz der Zeile „The American Life is the presumption that people are dumb“ ein poetisches Ende: „The toothless attendant behind the Texaco counter has the saddest brown eyes that I have ever seen.“
Es ist nicht so, dass DARRIN BRADBURY uns auf seinem Album in neue musikalische Gefilde entführt. Faszinierend ist aber, wie er mit längst vertrauten Folk-, Americana- oder Country-Elementen spielt und sie in perfekter Weise mit seinen Texten zu echten Songperlen verschmilzt. JOHN PRINE oder WOODY GUTHRIE in ihren jüngeren Jahren darf man zum Vergleich ohne Skrupel heranziehen.
FAZIT: „Talking Dogs & Atom Bombs“ könnte als eines jener Alben in die Musikgeschichte eingehen, denen zwar vielleicht nicht der große kommerzielle Erfolg beschieden war, die aber für zahlreiche Musikfreunde eine Entdeckung und Ausgangspunkt für eine lange Beziehung waren. Elf kurze Songs, elf kleine Geschichten – ein großes Album. Bitte mehr davon, Mister BRADBURY!
<iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/9S9rcumP564" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture" allowfullscreen></iframe>
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.04.2020
Jeremy Ivey
Darrin Bradbury
Darrin Bradbury
Dillon Napier
Jeremy Ivey (Piano), Alex Munoz (Gitarren, Gesang), Kenneth Pattengale (Mellotron, Gesang), Margo Price (Gesang „The Trouble With Tim“)
ANTI-Records
26:47
20.09.2019