Mit seiner neuen Platte - der insgesamt fünften im Laufe seiner Karriere - zeichnet David Ramirez Porträts seiner durchschnittlichen Landleute in ihrem Alltag. Die teilweise schon vor dem letzten Langspieler ausgearbeiteten und unter Produzent Jason Burt (u.a. auch Leon Bridges) auf ideale Weise in Szene gesetzten Ideen ergeben ein in sich geschlossenes Bild, das sich 2020, da Bruce Springsteen momentan Sendepause zu haben scheint, prima als Ersatzdroge zu Sounds aus der mittleren Schaffensphase des "Boss" eignet.
Wohlgemerkt sollte man Ramirez nicht darauf herunterbrechen, denn der Komponist, Gitarrist und Sänger ist von jeher stilistisch breiter aufgestellt. Die Vorab-Singles - das Titelstück, 'Lover, Will You Lead Me?',' Wanna Live in Your Bedroom' und 'Hallelujah, Love Is Real' - sind im Grunde genommen bereits die sprichwörtliche halbe Miete. Diese Tracks subsumieren den Stil und die Stimmung von "My Love Is A Hurricane" in denkbar kompakter Weise.
Zu Beginn dominiert psychedelisch-poppiger Funk in Form des Openers 'Lover, Will You Lead Me?' und von 'Hell', bevor 'I Wanna Live in Your Bedroom' als Abbild eines üblichen Bruce-Leisetreters durchgeht. Spätestens bei 'My Love Is A Hurricane' wird jedoch bewusst, dass David unter ästhetischen Gesichtspunkten moderner aufgestellt ist, da sich die elektronischen Verzierungen, die auf dem Vorgänger ebenso präsent waren, hier definitiv nicht wegdenken lassen.
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Im Verhältnis zu seinem nach außen schauenden "Vorgänger "We're Not Going Anywhere" (2017), in dessen Zentrum gesellschaftliche und politische Fragen standen, ist sein aktuelles Material noch brisanter. Als US-Bürger mit mexikanischen Wurzeln befindet sich David Ramirez dieser Tage sicherlich in einem Wechselbad der Gefühle, dem er paradoxerweise just dadurch auf prägnante Art Ausdruck verleiht, dass er in sich selbst hineinhorcht, statt wie zuvor übergeordnete Instanzen zu attackieren.
Falls der Genre-Terminus "Americana" bedeutet, dass sich die Vertreter dieses Sounds inhaltlich mit der Geltungsberechtigung der Vereinigten Staaten auseinandersetzen, sind vermutlich nur wenige so stiltreu wie Ramirez - und dass der Künstler sein Anliegen mit schmerzhaften privaten Erlebnissen verschmilzt (konkret einer kaputtgegangenen Beziehung), macht das Ganze umso eindringlicher.
Angesichts seiner äußerst wandelbaren Stimme könnte man Ramirez darüber hinaus glatt einen Schauspieler nennen, doch ungeachtet der jeweiligen Situation, der er sich bewusst aussetzt, wirkt das, was er vorträgt, immerzu glaubwürdig. Die Songs spannen nicht nur deshalb, sondern auch in Hinblick auf das reichhaltige Instrumentarium, das verwandt wurde, einen breiten Regenbogen zwischen (Indie) Rock, Gospel und zeitgenössischem R&B.
FAZIT: David Ramirez' fünftes Album fasst zusammen, was ihn schon immer ausgezeichnet hat, und könnte allenfalls ein wenig mehr "laute" Töne vertragen. Wem zeitgenössisch (teils mit vordergründigen Synthesizern) aufgezogene Americana ein Hörerlebnis wert ist, sollte zuallererst bei dieser Adresse haltmachen. <img src="http://vg09.met.vgwort.de/na/189552bf63f04225928d310a41def0c6" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.07.2020
Sweetworld-Thirty Tigers / Membran
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17.07.2020