Einen Monat vor der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 flog Elvis Costello in die finnische Hauptstadt Helsinki, um im Alleingang Songs für sein neues Album aufzunehmen. Der Rest des Materials auf "Hey Clockface" entstand in Paris und New York, nachdem auch Begleitmusiker für das Projekt gefunden waren.
Costellos Gehilfen stammen aus dem Jazz-Milieu, und die spontane "Alles geht"-Haltung die Instrumentalisten aus dieser Ecke an den Tag legen, schimmert in der Tat auch an jeder Stelle des Albums durch. Mit Jazz im herkömmlichen Sinn hat das Ergebnis trotzdem wenig zu tun.
Bei dem spastisch kratzigen Rocker 'No Flag', dem Hip-Hop-affinen 'Hetty O'Hara Confidential' und dem leise tretenden.'We Are All Cowards Now' handelt sich um Solonummern, deren Einspielung Eetü Seppälä in Skandinavien beaufsichtigte und die den atmosphärischen Rahmen für alles andere vorgeben. Die Sessions in den Vereinigten Staaten wurden hingegen unter Michael Leonhart, Bill Frisell und Nels Cline abgewickelt … aber der jeweilige Entstehungsort wird in der Gesamtschau unerheblich.
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Auf seine bunte Art wirkt "Hey Clockface" wie aus einem Guss geschaffen, was sich paradox liest, aber stimmt, weil alle Tracks auf aus dem Stegreif im Studio ersonnenen Arrangements beruhen. Die Quintettbesetzung in Saint German festgehaltenen Ideen muten allenfalls intimer und akustischer an, doch selbst hier weben die Protagonisten elektronische Klänge ein, und zwar nicht immer nur subtil.
Falls man derart divergente Sounds nicht kategorisch ablehnt, dürfte Elvis' zerdehnter Gesang die höchste Hürde sein, die man nehmen muss, um diese gewagte Scheibe schätzen zu lernen. Dass es definitiv nicht zu den Konsens-Werken des Künstlers aufsteigen wird, zeigt sich bereits daran, dass man keine potenziellen Hits erkennt.
FAZIT: "Hey Clockface" ist eine exzentrische Mischung aus flotten Fegern und beschaulichen Balladen, die rein strukturell gängigen Liedschemata folgen, aber weder genau mit dieser oder jener früheren Platte von Elvis Costello vergleichbar noch überhaupt einer einzigen Stilistik zuzuordnen sind. 2020 klingt der Künstler ungefähr so wie gezähmte The Flaming Lips, auf dem Kammerorchester- und Math-Rock-Trip. Ergibt Sinn für euch? Dann hört mal rein. <img src="http://vg05.met.vgwort.de/na/131074ca99fd4968997cca6e355b1473" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.10.2020
Elvis Costello
Elvis Costello
Nels Cline, Bill Frisell, Elvis Costello
Elvis Costello, Steve Nieve
Ajuq
Mickaël Gasche (Trompete), Renaud-Gabriel Pion (Klarinetten), Pierre-François "Titi" Diufour (Cello)
Concord / Universal
49:25
30.10.2020