Ein Blick auf das Plattencover verunsichert. Nein, es erschüttert regelrecht. Denn da steht dieser FABIAN SIMON im seidenen Morgenmantel inmitten einer unter Wasser gesetzten Waldlandschaft und schaut den Betrachter mit bitterbösem Blick, als würde er das hiobsche Leidenspäckchen völlig allein auf sich geladen haben, entgegen. Sofort hat man ein schlechtes Gewissen. Auch wenn man gar nicht weiß warum?
Soll man so eine LP mit Mister Miesepeter Simon auf der Vorderseite kaufen?
Unbedingt!
Warum?
Die Antwort ist denkbar einfach: FABIAN SIMON & THE MOON MACHINE machen trotz jedes erschütternden Blickes und eines sehr nachdenklichen Textes von Adam Arcuragi (Amerikanischer Musiker, Künstler und Produzent, der als Begründer des Death Gospel gilt – T.K.) auf der LP-Rückseite mit den besten Alternativ-Folk-Psyche-Pop, den man derzeit aus deutschen Landen zu hören bekommt. Punkt!
Oder um es so schön mit den Worten unter Simons Homepage auszudrücken: „Fernab allem opportunistischen Hipstertums hat Fabian Simon seither an seiner charismatischen Musik gefeilt, die mittlerweile eins der bestgehüteten Geheimnisse der deutschen Musiklandschaft ist.”
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Bereits vor gut zehn Jahren durfte ich FABIAN SIMON, den in Tübingen „unter dem Einfluss von Hölderlin und Hegel, Beethoven und den Beatles“ aufgewachsenen Musiker, der klassisches Klavierspiel und Komposition erlernte, aber „im jugendlichen Sturm und Drang das Klavier gegen die elektrische Gitarre und den Ernst der alten Meister gegen die Sexiness des Rock'n'Rolls“ austauschte, <a href="http://www.musikreviews.de/live/Fabian-Simon/12-02-2009/" target="_blank" rel="nofollow">bei einem wirklich beeindruckenden Konzert im Dresdner Ost-Pol</a> erleben, bei dem er seine ebenso beeindruckende erste CD „Sunday's Child“ präsentierte, die in erster Linie vom Musikgeschmack seines Vaters inspiriert war, der ihn so auch auf seinen persönlichen Musiker-Weg brachte. Unzweifelhaft wird auch „Coconut Dreams“ seinen Vater begeistern – so viel ist klar. Doch auch alle anderen Musikfreunde, die noch ein wenig in der Vergangenheit schwelgen, als vom Krautrock bis zu den BEACH BOYS einfach alles möglich war und sich Radio-Formata nicht um permanente Mainstream-Hit-Austauschbarkeit scherten, werden sich mit den Kokosnüssen weit weg in die Vergangenheit träumen können.
Eigentlich ist sein aktuelles Album gar nicht mehr so aktuell, denn es wurde bereits vor zwei Jahren aufgenommen – nun erst ist, wie es scheint, die Zeit zur Veröffentlichung reif. Und auch wenn der Musiker mit der Bariton-Stimme, die auch mühelos die hohen Töne meistert, aber ebenso zerbrechlich wie kräftig klingen kann, sich so lange Zeit bis zur Veröffentlichung nahm, seine Musik ist nichts für massentaugliche Radioformate. Die sind nicht wirklich reif für diese Musik, die neben vielen Retro-Momenten auch viel Freude an komplexer Verspieltheit hat.
FABIAN SIMON liebt seine akustische Gitarre – das hört man durchgängig. Aber seine Band THE MOON MACHINE untermalt Simons Gitarre und Gesang mal mit fetten Hammondorgeln und Moog-Synthesizern oder Streichern, E-Gitarre, akustischen und elektrischen Bässen und einem zurückhaltenden Schlagzeugspiel.
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Nicht nur einmal kommen einem beim Hören dieser Platte BELLE & SEBASTIAN und KINGS OF CONVENIENCE in den Sinn, aber bei den folkigen Americana-Momenten, die ebenfalls fein portioniert immer wieder auftauchen und gleich beim Album-Opener „The Gifted & The Damned“ eine gewichtige Rolle spielen, lassen lautstark WILCO und GIANT SAND sowie bei den „Orgeleien“ die legendären DOORS grüßen.
Noch dazu endet der Song psychedelisch verkrautet und macht eins klar: Hier gibt’s keine Musik von der Stange, sondern etwas ganz Besonderes zu hören. Aber auch etwas Gewöhnungsbedürftiges für alle nur auf Alltagstauglichkeit getrimmten Ohren.
Denn schon beim folgenden „Make No Mistakes Misses Blue“ darf man sich weit zurückträumen in eine Zeit, in der ein SYD BARRETT nach seinem unerwarteten und fies verwirklichten Rausschmiss durch die restlichen PINK FLOYD-Mitglieder anno 1970 verzweifelt mit „The Madcap Laughs“ wieder fußzufassen versuchte und dabei an seiner Traurigkeit, den Drogen und den (viel zu) zerbrechlich und spartanisch klingenden Songs scheiterte.
Und wenn gerade so eine traurige Seite beleuchtet wird, dann bietet es sich doch gleich auf „Tomorrow“ an, mit Cello und Violine dieses Gefühl noch etwas intensiver auszuleben.
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„Musentod“ spielt sogar offensichtlich mit TOM WAITS-Schrullen, in die man sich sofort verliebt, wenn man die experimentelle Waits-Phase mochte.
Sich auf den Kokosnuss-Traum mit FABIAN SIMON einzulassen ist ein sehr intensives Erlebnis, das einen atmosphärisch mit auf die Zeitreise nimmt, als Musik und Drogen oftmals zusammengehörten. Bei FABIAN SIMON aber wird die Musik zur Droge, die lange nachwirkt, sich aber viel Zeit nimmt, um ihre ganze Wirkung zu entfalten. Wer jedoch auf den schnellen Kick steht, der sollte sich weiterhin das „ohrale“ Radio-LSD-Ecstasy einpfeifen. Das hinterlässt kurzfristige Wirkung und macht hässlich – ganz im Gegensatz zu „Coconut Dreams“, da kann FABIAN SIMON so böse wie er will auf dem Plattencover uns entgegenschauen. Das, was hier zu hören ist, ist richtig gut. Und endet auf Vinyl noch dazu in der Unendlichkeit – also in einer Endlos-Rille, die so klingt, als würde Oma in den 60ern mit ihrem Staubsauger eine flotte Nummer schieben...
FAZIT: „Coconut Dreams“ von FABIAN SIMON & THE MOON MACHINE ist eine verspielte Musik-Reise voller Erinnerungen an die 60er- und 70er-Jahre, als die Psyche, Folk, Pop sowie Flower Power voller „Make Love Not War“-Leidenschaft auslebten und ein Sgt. Pepper besonders die Pet Sounds mochte, während ein trauriger SYD BARRETT seinen „Wahnsinn lachen“ ließ.
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Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.05.2020
Sebastian Kunas
Fabian Simon, Charlotte Brandi, Nicolas Schneider, Sebastian Kunas, Jakob Dinkelacker
Fabian Simon, Sebastian Kunas
Nicolas Schneider, Jakob Dinkelacker, Fabian Simon, Sebastian Kunas
Jakob Dinkelacker
Joel Siepmann (Cello), Rebecca Czech (Violine)
Listenrecords
45:40
14.02.2020