Falls sich die von den Protagonisten selbst provozierten Gerüchte bewahrheiten, betrachten ein lachendes und ein weinendes Auge das minimalistisch finstere Cover von "Long Day Good Night". FATES WARNING könnten sich nach über 35 Jahren, in denen sie den Progressive Metal, wie wir ihn heute kennen, maßgeblich mitgeprägt haben, und im Sog sowohl mehrerer Album-Klassiker als auch eines enorm starken Karriere-Herbstes endgültig (?) aus der Szene verabschieden.
Dies würde allerdings mit einem weiteren wahnsinnig guten Longplayer geschehen, auf dem Mastermind Jim Matheos (der in Interviews laut über ein Ende seines Band-Lebenswerks nachdenkt) und Co. obendrein mitnichten nur ihren Schuh herunterspielen, sondern tatsächlich noch Neuland (für ihre Verhältnisse) beschreiten, wobei der Umstand, dass es sich auch um die längste Platte überhaupt in ihrer Diskografie handelt, bloß ein Faktum für Statistiker ist.
Einige Songs enthalten elektronische Elemente, deretwegen sie sich vage mit der kühlen Ära von "A Pleasant Shade of Gray" bis zu "Disconnect" vergleichen lassen. Unabhängig davon scheinen die harten und weichen Konturen von FATES WARNINGs Sound auf "Long Day Good Night" noch schärfer herausgearbeitet worden zu sein: Die Gruppe schlägt kraftvoll und direkt zu wie selten ('Shuttered World', das kompakt antreibende 'Glass Houses'), doch wenn sie leise tritt, dann wirklich auf metaphorischen Samtpfoten (die erste Hälfte von 'The Way Home', das hinsichtlich seines Arrangements im bisherigen Repertoire der Band beispiellose 'When Snow Falls').
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Und dann wäre da noch das elfeinhalb Minuten lang feuchte Hände (und Augen) bereitende Epos 'The Longest Shadow of the Day', mit dem FATES WARNING ihre eigene Longtrack-Tradition ('The Ivory Gate of Dreams'!) quasi zur Vollendung führen - altersweise, in Würde gereift und dennoch so muskulös wie junge Künstler auf dem Zenit ihrer musikalischen wie textlichen Ausdrucksstärke.
FAZIT: Davon abgesehen, dass "Long Day Good Night" ein überragendes Progressive-Metal-Album ist, setzen FATES WARNING damit insofern Maßstäbe, als sie anderen zukünftigen "Rentnern" eine schier unerreichbar hohe Vorlage zuspielen, was Schwanengesänge angeht … aber so richtig glauben möchte man vorerst nicht, dass der Offen hiernach dauerhaft aus bleiben wird. <img src="http://vg05.met.vgwort.de/na/1dfd4cce088240afb2d2271f37c7bb0a" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 29.10.2020
Joey Vera
Ray Alder
Jim Matheos
Bobby Jarzombek
Metal Blade / Sony
72:38
06.11.2020