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Reviews

Gaffa Ghandi: Artificial Disgust

Stil: Instrumentaler Rock zwischen vertrackter Härte und komplexer Absurdität

Cover: Gaffa Ghandi: Artificial Disgust

<b>„Ja, man muss ein Träumer sein, um das zu schätzen. Absolut ja! Der Tanz auf einem Seil zwischen den Rissen über dem Abgrund des Geschmacks, um die unhaltbaren Umstände aufzuzeigen.“</b> (GAFFA GHANDI unter ihrer Homepage)

So, liebe Freunde von gutem, progressiv-fusioniertem Instrumental-Rock!
Mal wieder Lust auf eine spannende Entdeckung aus Deutschland?
Eine, die kompromisslos in ihrem Bandnamen Panzerklebeband mit indischer, leicht h-verdrehter, freiheitsbeschwörender Kultfigur vereint – genauso wie musikalischen Dampframmen-Metal mit progressivem Freigeist und einem seltsam anmutenden Gespür für eine provozierende Cover-Gestaltung, die eher nach „Mein Opa will in der Disco mit Leopardenhose und Flicken-Teppich-Jäckchen kleine Mädchen aufreißen“-Kunst aussieht?
Wozu es aber eine sehr passende Erklärung gibt, die wiederum in ihrer speziellen Schönheit auf die spezielle Schönheit der Musik hinter dem deutschen Viergespann (Bass, Schlagzeug, zwei Gitarren) verweist. Hässlich oder schön?
Wie immer eine Frage des Geschmacks (Und bitte verdammt all diejenigen, die für sich in Anspruch nehmen, einen 'guten Geschmack' zu haben, das ist bereits der Beginn zum schlechten Geschmack!). Eine überzeugende musikalische sowie gestalterische Antwort findet man auf dieser 'künstlerischen Ekel'-CD.
Klingt das nicht spannend?

Es ist spannend – und damit wären wir schon bei unserer Entdeckung: „Artificial Disgust” von GAFFA GHANDI, die laut ihrem Bassisten Lucas Kazzer „ihr Bock auf vertrackte Riffs und der Hang zum Absurden“ zusammenführte und deren eigene Musikbefindlichkeiten sich in so etwa allen Musikstilen tummeln, außer Schlager und Volksmusik, besonders aber Noiserock, Kammerprog, Deathmetal und Funk.

Sieht man ein wenig vom Funk ab, findet man diese stilistisch Vielfalt auch in GAFFA GHANDIs Musik wieder, die sich bereits – nicht nur des kunstvoll-ekligen Titels samt ungewöhnlichem Cover wegen – mit dem knapp 17 Minuten langen „Progressive Concepts, For A Modern World Of Multilayered Structural, Sociological And Individual Changeabilities“ ein kleines Denkmal setzen, denn genau das, was uns bei genauerem Lesen dieser komplex-abstrakte Titel vermitteln will, vermittelt uns tatsächlich auch das progressiv konzeptionierte Stück für eine moderne Welt, in der Individuelles und Soziales einer ständigen Veränderung ausgesetzt ist. Da passt der abschließende CD-Bonustrack mit seinem Titel „Phonophobie“ nur zu gut als letztes Musik-Ausrufezeichen, weswegen die Anschaffung der CD-Variante auch dringend empfohlen wird.

GAFFA GHANDI tummeln sich seid 2011 auf der musikalischen Bühne der Eitelkeiten, die sie allerdings mit kompromisslosen, krachigen, recht geradlinigen, etwas an GODSPPED YOU! BLACK EMPEROR oder ELEPHANT9 und PANZERBALLETT erinnernden, Hammersounds und sich mitunter noch zu oft wiederholenden Rhythmusstrukturen regelrecht wegblasen.
Hier werden keine Gefangenen gemacht, die mit ihren glanzvollen Klunkern rumklimpern, sondern die dreckige Seite guter Rockmusik mit Mut zur rein instrumentalen Lücke präsentiert. Oder um noch einmal den GAFFA GHANDI-Bassisten zu zitieren: „Gerade weil die Prägung des Einzelnen trotz der Schnittmenge von so verschiedenen Startpunkten ausgeht, bleibt das Schreiben und Spielen der Stücke für uns nach wie vor überraschend und offenbart immer wieder ein leckeres Haar bzw. das Salz in der Suppe.“
Also: Von der Improvisation zur Komposition und dann die Vollendung im Stück – ist das Geheimnis hinter GAFFA GHANDI. Ein Geheimnis, das sich hören lassen kann – vorausgesetzt natürlich, man gehört noch immer zu den Harten, die nicht nur in den Garten die Blümchen züchten, sondern auch mal in der Hölle das Feuer entfachen wollen und nicht vor der etwas knitterig, aus der Zeit gefallenen Dresdner Ausdruckstanz- und Freestyle-Gitarren-Legende sowie nunmehr erstes GAFFA GHANDI-Cover-Boy-Model Costa Rico zurückschrecken. Oder um es noch einmal mit den Bassisten-Worten, der im Rahmen dieser Review angenehm auskunftsfreudig war, auszudrücken: „Costa Rico ist ein klasse Typ. Und seine Bildgewalt-/Gestalt fasst den Albumtitel und den ganzen Kampf hinter dem Album sehr gut zusammen: 'Artificial Disgusting': Ästhetisch grandios, aber zutiefst abstoßend. Oder vielleicht auch fordernd. Das sei dem Rezipienten überlassen.“

Übrigens sprach der Rolling Stone (Eigentlich seltsam, dass der auf GAFFA GHANDI aufmerksam wurde…) in einer echt nichtssagenden Kurzkritik von einem „deftigen Genre-Eintopf“ und erfand noch dazu den Begriff „Dada-Prog“. Da hatten die Herren Kollegen wohl gerade zu viel Hugo Ball und Kurt Schwitters gelesen.
Welch Witz, den Expressionismus und GAFFA GHANDI in einen 'Genre-Eintopf' zu werfen, denn das, was wir auf „Artificial Disgust” hören, ist keine Lautmalerei, sondern Lautstärke kombiniert mit kompositorisch durchaus komplexen und strukturierten Ideen, die einen oft mitzureißen verstehen. Leider weist das Album produktionstechnisch noch einige Reserven auf. Mit einer noch besseren Feinabstimmung, deutlicheren Stereo-Effekten und Kanal-, Tiefen- und Höhen-Trennungen wäre dem Musikerlebnis – und genau das ist es für alle, die druckvoll-progressiven Instrumental-Rock mögen – ein echtes Highlight beschert worden.
Oder um es noch einmal mit GAFFA GHANDIs Worten, nachzulesen unter ihrer Homepage, auszudrücken: „Gerades Riffing trifft auf Prog-Ladden-Strukturen, eingewickelt in psychedelisches Amalgam, atmet nach allen Seiten, bleibt aber kompakt genug, um gespielt zu werden während der Fahrt durch die Hauptverkehrszeit. Ekelhaft schön.“

Dem gibt’s wirklich nichts mehr hinzuzufügen – außer: „Wahre Worte!“
Noch besser: „Wahre Musik!“

FAZIT: Wer nach 'ekelhaft-schöner' Musik zwischen metallischer Schlagseite und progressiver Komplexität sucht, der hat beim musikalischen Goldschürfen einen fetten Klumpen in seinem Sieb: „Artificial Disgust” von GAFFA GHANDI, deutscher Instrumental-Freistil mit 'vertrackten Riffs und dem Hang zum Absurden'!

Punkte: 11/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.09.2020

Tracklist

  1. Symphony Of Swag
  2. War On Fire
  3. Ancient Dominator
  4. Progressive Concepts, For A Modern World Of Multilayered Structural, Sociological And Individual Changeabilities
  5. <b>Bonustrack:</b> Phonophobie

Besetzung

  • Bass

    Lucas Kazzer

  • Gitarre

    Frieder Ackermann, Alan Bittner

  • Schlagzeug

    Georg Edert

Sonstiges

  • Label

    Exile On Mainstream Records

  • Spieldauer

    44:00

  • Erscheinungsdatum

    24.04.2020

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