Etwas mehr als ein Jahr vor seinem Tod zog Gary Moore auf der Bühne der Londoner Islington Academy alle Register. Hört man die Aufnahme dieses denkwürdigen Konzerts nun mit gebührendem Abstand, könnte man meinen der 58-jährig Verstorbene hätte sein Ableben vorausgeahnt und sich noch einmal völlig verausgaben wollen. So oder so wirkt "Live in London" wie das ultimative Statement eines Ausnahmekünstlers, der dieser Musikwelt noch viel, viel mehr geben wollte.
Moore griff vor lauter Euphorie - die überschwänglichen Zuschauer ließen ihn partout nicht abtreten, anschließend stand er backstage kurz vor einem körperlichen Zusammenbruch - so tief in seine Mottenkiste, dass er im Zuge dessen die Zeit vergaß. Einerseits ging er mit der Setlist zwar kaum Kompromisse ein, sondern bot einen für die Blues-Phasen in seinem Schaffen repräsentativen Querschnitt aus Klassikern, andererseits kamen auch selten auf die Bühne gebrachte Kompositionen zur Geltung.
„Still Got The Blues“, das Schlüsselwerk des Iren von 1990, steht etwa mit dem wehmütigen Titeltrack, Albert Kings unkaputtbarem 'Oh Pretty Woman' und dem ruppigen 'Walking By Myself' im Mittelpunkt, wohingegen allen Standards voran Standard 'Out In The Fields' (von „Run For Cover“, 1985) erstaunlicherweise ausgespart wurde. Den Vorzug gab der ikonische Ire mit der Les Paul stattdessen den vergleichbar jungen Tracks 'Bad For You Baby' und 'Down The Line' (2008) sowie einem weiteren Cover in Form von Donny Hathaways 'I Love You More Than You’ll Ever Know'.
Diese Fremdinterpretation und Otis Rushs 'All Your Love' gehören zu den rührendsten Momenten im Programm, und die alte Bluesbreakers-Schote 'Have You Heard' klingt gleichfalls so, als ob Gary wüsste, dass er sie seinen Fans nicht wieder live um die Ohren hauen würde.
Der Aufnahmesound ist hervorragend und wurde vermutlich kaum nachbearbeitet. Falls doch, brauchte wohl niemand irgendetwas auszubessern, denn so hingebungsvoll Moore auch gespielt haben mochte, so sehr waren er und seine bestens aufeinander eingestimmte Hintermannschaft zu jeder Sekunde Herren der Lage.
FAZIT: "Live in London" ist nicht mehr und nicht weniger als ein äußerst würdevolles Erinnerungsstück. Behalten wir Gary Moore weiterhin so im Gedächtnis, wie er hier zu erleben ist - von fiebriger Leidenschaft getrieben, emotional virtuos und auch gesanglich so gut in Form, dass sein Tod umso mehr schmerzt. <img src="http://vg01.met.vgwort.de/na/0e4dd3e31ac04952aa26840c40f52ba6" width="1" height="1" alt="">
Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.01.2020
Mascot / Rough Trade
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31.01.2020