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Gossengospel: Liebe will gefunden werden

Stil: Rock'n'Soul, Folk, Blues, Americana mit deutschen Texten

Cover: Gossengospel: Liebe will gefunden werden

<b>„Fang an zu leben, solange du lebst!“</b> (Gossengospel)

Ziemlich frech, wenn ein Duo und zugleich Ehepaar (Marija & Alexander Frick), verstärkt durch vier ausgezeichnete Musiker, mit dem starken Hang zu leidenschaftlicher Liebe und Musik uns in ihrem Bandnamen gänzlich auf die falsche Fährte schicken.
GOSSENGOSPEL?!?!
Oder um es mit den wenig beeindruckenden Worten von EDWIN HAWKINS auszudrücken: „Wissen Sie, Gospel ist nicht der Sound, der Klang – es ist die Botschaft. Wenn es von Jesus Christus handelt, ist es Gospel.“
Erwarten uns nun auf „Liebe will gefunden werden“ etwa diese christlich-afroamerikanischen Evangelieumslieder, die sich aus der missionarischen Kirche hinaus in Richtung schmutziger Gosse begeben, um uns im besten DAVE STEWART-Sinne „Greetings From The Gutter“ zu senden?
Keinesfalls!
Auch wenn so einiges in der Musik auf „Liebe will gefunden werden“ genau an dieses Album des Ex-EURYTHMIC(er)S, eins seiner besten, erinnert. Jesus Christus jedenfalls bleibt bei den durchgängig gut geschriebenen deutschen Texten, die zugleich im 16-seitigen Booklet nachzulesen sind, außen vor, stattdessen ist hinter der GOSSENGOSPEL-Poesie ständig der Hang nach der großen Freiheit, dem leidenschaftlichen Gefühl und der weiten Welt zu erkennen. Und ja, auch der Glaube wird beschworen, aber nicht der an eine religiöse Institution, sondern der an sich selbst, der viel mehr Mut von einem abverlangt, als ein gemeinsames Gebet im Einklang.
Bei GOSSENGOSPEL gilt die zwar einfach klingende, aber zugleich so schwer zu verwirklichenden Botschaft: „Machen! Leben! Lieben!“, und wird zum musikalisch-textlichen Programm hinter „Liebe will gefunden werden“.

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Was sich im Grunde als musikalisch schwieriges Unterfangen darstellen sollte – eben ganz typische anglo-amerikanische Sounds von Soul, Blues und Funk, angereichert mit einer Prise Jazz und der einen oder anderen Gospel-Linie mit deutschen Texten und weiblichem Gesang stimmig zu vereinen – gelingt GOSSENGOSPEL überzeugend.
Leider beschränken sich die inhaltlichen Elemente größtenteils auf die große Freiheit, die Liebe und Leidenschaft, Sehnsüchte nach der weiten Welt und dem großen Gefühl, was wiederum passend erscheint. Allerdings sehnt man sich beim Hören manchmal doch nach etwas mehr Biss, vielleicht sogar schärferer Kritik an Dingen, die einem bei all der Americana-Weltoffenheit fehlen, ansatzweise aber bei „Dinge geschehen“, ein Angriff gegen den Egoismus: „Sieben Milliarden Ichs und jedes misst die Welt an sich […] Ich formulier es ganz entspannt, das Ich hat keinerlei Bestand...“ oder in der Blues-Ballade „Manni“, einem Statement für mehr Gefühle und weniger Geld-Gier: „Ist das jetzt die Krise oder der letzte Funke Leben, der ihn daran erinnert, dass der Kerl in ihm verhungert“, durchklingen.
Letzten Endes gilt dann doch das im bar-jazzig lautstark formulierte „Nicht perfekt, aber richtig“-Motto - dem einzigen Song, in dessen Refrain auch mal Götter auftauchen: „Die Götter sprachen, mach's nicht perfekt aber richtig. Es muss nicht perfekt sein, bist nur 'n Mensch, aber richtig.“

Das Ehepaar Flick ist, vielleicht ja gerade, weil man nicht nur die Liebe zur Musik, sondern sein ganzes Leben, sicher mit jeder Menge Höhen und Tiefen, miteinander teilt, auf „Liebe will gefunden werden“ perfekt aufeinander eingestellt, was besonders durch das sehr variable elektrische und akustische Gitarrenspiel, oftmals mit einer GARY MOORE-Note, genauso wie dem abwechslungsreichen, vor keinem vokalen Experiment zurückschreckenden Gesang zum Ausdruck kommt.
Noch dazu klingen die Songs vom Sound her ausgezeichnet.
Kompositorisch allerdings könnten die beiden deutlich mutiger sein, nicht nur auf eine Vielzahl von Instrumenten, sondern auch gewagtere Brüche, Stimmungswechsel und mehr Überraschendes setzen – statt immer nur im „Flow“ zu bleiben. Viel mehr laut-leise, rechts-links als ständig durch die Mitte.

Wer so mutig mit seiner Stimme spielt, gar irgendwo zwischen ALISON KRAUSS sowie GILLIAN WELCH und JOY FLEMING klingt, darf, ganz im Sinne des Bandnamens, sich gerne auch wirklich in die Gosse gewagter Komplexität begeben, statt größtenteils auf sakralen, choralen Gospel-Einklang zu setzen, so viel anbetungswürdige Seelen sich dahinter auch verbergen mögen. Im besten Sinne vom souligen, samt berauschenden Gitarrensolo aufwartenden Blues „Achtmal“: „Wer siebenmal hinfällt, der muss achtmal aufstehn...“

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Allerdings hätten sich GOSSENGOSPEL nach der emotionalen Soul-Ballade „Lass uns zusammen sein“, ein wirklich guter Abschluss für das insgesamt bewegende Album, den Radio-Edit, eine (besonders um das Gitarren-Solo) kastrierte Variante von „Liebe will gefunden sein“, sparen sollen. Es ist schon ein jämmerlicher Scheiß, dass diese Formatradios heutzutage auf zeitliche Format-Titel setzen.
Doch muss man das wirklich mitmachen und hat man das nötig?
Eigentlich haben GOSSENGOSPEL dafür sogar in einem ihre Texte („Dinge geschehn“) eine klare Antwort gefunden, nur halten sie sich selber am Ende leider nicht daran: „Wir erfinden tausend Normen in der Welt sich wandelnder Formen.“ Das sollte auch für die Musikwelt gelten, die man einfach nicht mit den Normen glattgebügelter, angepasster „Radio-Edits“ beglücken sollte.

FAZIT: „Mach dein Ding. Vertrau dem Leben und bleib' im Flow!“ Mit dieser Botschaft versehen, zeigen uns GOSSENGOSPEL auf „Liebe will gefunden werden“ mit ihrer abwechslungsreichen Mixtur aus Soul, Funk, Blues, Jazz und guten deutschen Texten, die ihre kleinen Geschichten vom großen Leben mit noch größerer weiblicher Stimme erzählen, wie es klingen und sich anfühlen muss, wenn man sich statt biederer Anpassung für sein leidenschaftliches Gefühl entscheidet.

Punkte: 11/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.08.2020

Tracklist

  1. Ich ziehe los
  2. Vagabund
  3. Nicht perfekt aber richtig
  4. Liebe will gefunden werden
  5. Wenn die Welle kommt
  6. Dinge geschehn
  7. Ich brauche Geld
  8. Achtmal
  9. Manni
  10. Wind und Wetter
  11. Dafür liebe ich dich
  12. Wunderbar
  13. Lass uns zusammen sein
  14. Liebe will gefunden werden (Radio Edit)

Besetzung

  • Bass

    Florian Blau

  • Gesang

    Marija Frick

  • Gitarre

    Alexander Frick

  • Keys

    Florian Blau

  • Schlagzeug

    Fritz Rittmüller

  • Sonstiges

    Janosch Rittmüller (Percussion, Melodica, Background Vocals), Fritz und Janosch Rittmüller, Jenny Strasburger (Background Vocals)

Sonstiges

  • Label

    Eigenvertrieb/Hey!Blau Records

  • Spieldauer

    61:40

  • Erscheinungsdatum

    20.03.2020

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