<b>„Die Band hat richtig viel Potenzial und ist progressiv, ohne dabei überheblich zu wirken!“</b> (Ben Lowett von MUMFORD & SONS zu HALF MOON RUN)
HALF MOON RUN aus Montreal werden bereits seit ihrem ersten, sehr melancholischen Album „Dark Eyes“ (2012) in ihrem Heimatland gehörig abgefeiert und auch die Briten haben nach einem Auftritt des kanadischen Quartetts – vier Mann, vier Stimmen und vier Multiinstrumentalisten – bei BBC Radio 1 HALF MOON RUN für sich entdeckt. Besonders Ben Lowett von MUMFORD & SONS, der nach dem Mondscheinauftritt in London gleich im BBC-Backstage-Bereich bei einem guten Whiskey dem kanadischen Quartett das Angebot unterbreitete, es als Support bei der M&S-Stadion-Tour zu begleiten.
Nun also liegt mit „A Blemish In The Great Light” bereits das dritte HALF MOON RUN-Album vor und auch wir Deutschen sollten langsam aufwachen und trotz Corona-Virus erkennen, was für herrlich komplexe und zugleich atmosphärische Folk-Musik sich hinter diesem kanadischen Ausnahme-Vierer verbirgt, der locker jeden Vergleich mit Bands wie MUMFORD & SONS (Logisch!), DEATH CAB FOR CUTIE, FLEET FOXES, BAND OF HORSES und BEAUTIFUL SOUTH standhält.
Mit einem echten Ohrwurm beginnt das Album – ein geschickter Schachzug, denn wer von „Then Again“ nicht sofort in den Bann gezogen wird, dem ist nicht mehr zu helfen – zumindest dann nicht, wenn er auf wahre Folk-Pop-Perlen wie man sie von BEN FOLDS oder den FLEET FOXES kennt, steht. Widerstand zwecklos – und das gilt nicht nur für „Then Again“, sondern auch die ähnlich ausgerichteten Songs wie „Favourite Boy“ oder „Natural Disaster“.
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Doch HALF MOON RUN haben deutlich mehr zu bieten als ein paar ohrwurmträchtige Songs im Americana- und Westcoast-Feeling, mal ruhig oder poppig oder voller Schmackes.
Immer wieder begeben sich die Kandier, von denen jeder mehrere Instrumente auf dem Album einspielt, mit wunderschön stimmigen Satzgesängen auf EAGLES-Flugbahnen und „A Horse With No Name“-AMERICA-Spuren samt einer verträumten Prise SIMON & GARFUNKEL. Das hat etwas von den Siebzigern, aber auch von den BEATLES oder BOWIE, Akustik-Pop und verspieltem Shoegaze. Alles verpackt in prickelnde Americana-Atmosphäre der kanadischen Art – so wie in „Favourite Boy“, der sicher für viele auch zum Favourite-Song werden wird.
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Doch auch für progressive Freigeister gibt es so einiges an Spannendem auf „A Blemish In The Great Light” zu entdecken. Als erstes natürlich den siebeneinhalbminütigen Longtrack „Razorblade“. Wortwörtlich ein Tanz auf der Rasierklinge, der sich bis in krautrockige Gefilde erhebt, mit dem zugleich besten Text des Albums und der Erkenntnis: „And I know, I'm not quite right / But I'm trying to do better...“
Das auf diesen Song-Monolithen folgende „Undercurrent“ überrascht dann als melancholisch-bedrohliches, instrumentales Piano-Stück, welches völlig aus dem Gesamtkonzept von „A Blemish In The Great Light” fällt und zugleich ein Zeichen setzt, dass der Musik von HALF MOON RUN sogar eine klassische Komponente innewohnt, die einen ähnlich fesselt wie die restlichen Songs, bei denen neben der charismatischen Solo-Stimme von Devon Portielje oftmals auch die stimmigen (oder perfekt abgestimmten) Satzgesänge aller Bandmitglieder in den Mittelpunkt der Musik rücken.
Oder das längste Stück der LP-A-Seite: „Flesh And Blood“. Im Grunde fasst es vieles von dem zusammen, was einen auf „A Blemish In The Great Light” erwartet. Siebziger Folk-Retro-Feeling, gepaart mit komplexen Ideen, einem gewissen Country-Charakter plus Indie-Pop-Melancholie und Gesang, solistisch und im Satz, der ein hervorstechendes Qualitätsmerkmal von HALF MOON RUN ist.
Kanada mag noch so weit von Deutschland entfernt sein – diese Musik jedenfalls geht einem verdammt nahe, auch weil man sie einerseits nicht richtig greifen kann, sie einen aber gerade darum nicht wieder loslässt, sondern sofort in „Flesh And Blood“ übergeht.
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FAZIT: „A Blemish In The Great Light” des kanadischen Americana-Folk-Pop-Indie-Rock-Quartetts HALF MOON RUN lässt die Herzen all jener höher schlagen, die sich nur zu gerne ihre Ohren mit MUMFORD & SONS und FLEET FOXES oder AMERICA und EAGLES umschmeicheln lassen. Eine besondere Stärke des kanadischen Quartetts liegt in den großartigen Vokalleistungen sowie deren feines Gespür für stilistischen Abwechslungsreichtum.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.05.2020
Conner Molander, Isaac Symonds
Devon Portielje, Conner Molander, Dylan Phillips, Isaac Symonds
Conner Molander, Devon Portielje
Conner Molander, Devon Portielje, Dylan Phillips
Dylan Phillips, Isaac Symonds, Devon Portielje
Conner Molander (Mundharmonika, Pedal Steel), Isaac Symonds (Synthesizer, Mandoline)
Glassnote Records/Awal
40:35
01.11.2019