<b>„Ich bin immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen, und jetzt bin ich gespannt, in welche Richtung 'Home' mich und meine Musik als nächstes führen wird.“</b> (Hania Rani)
Heimat?! Was ist das? Und vor allem im Falle von HANIA RANI: „Wie klingt das?“
Ganz so leicht ist diese Frage aus Hanias Sicht nicht zu beantworten, denn die singende Pianistin, Komponistin und Produzentin, die sich auf ihrer aktuellen Doppel-LP „Home“ von einer Vielzahl an Musikern (Bass, Schlagzeug, Electronics) unterstützen lässt, so unter anderem auch von einem Streicher-Quintett auf „Tennen“, ist im polnischen Danzig geboren und lebt als Musikerin zwischen Warschau und ihrer Wahlheimat Berlin, wo sie studierte.
2019 veröffentlichte sie ihr Debüt mit Solo-Piano-Kompositionen und wurde sofort von der polnischen Medienkette Empik als „Entdeckung des Jahres 2019“ abgefeiert und von einer Journalisten-Jury mit dem Sanki-Preis und der Begründung, sie sei „das interessanteste neue Gesicht der polnischen Musiklandschaft“ ausgezeichnet.
Wie schwer muss es nach solchen heldenhaften Musiklorbeeren sein, das nächste Album hinterherzuschieben und dann auch noch deutlich breiter zu instrumentieren, selbst wenn es nach wie vor auf dem klassischen Piano-Spiel basiert? Auch dem Gesang eine wichtige Rolle einzuräumen, ist ein großes Wagnis. Ein Wagnis, das HANIA RANI auf „Home“ mit Bravour meistert.
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Auf „Home“ erwartet einen neben dem faszinierenden Piano-Spiel und einigen bestechend guten Instrumentals, von dem „Tennen“ als eine minimalistische Kombination zwischen Riley und Reich, Glass und Frahm hervorsticht, auch der fragile Rani-Gesang, der sich mit seinen hohen Tönen irgendwo zwischen einer KATIE MELUA und KATE BUSH bewegt, während einem bei den Piano-Passagen ein andere großartige Musikerin in den Sinn kommt: TORI AMOS. Wer also nach einer neuen, in gewisser Weise noch völlig unverbrauchten Musikerin sucht, die sich bei den drei ganz großen Damen allerhöchster Musikkunst einreiht – der hat diese mit der gebürtigen Polin HANIA RANI entdeckt.
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Bereits der Album-Opener „Leaving“ klingt wie eine Ode an die Dämmerung oder den Winter – traurige, etwas erschöpfte Ruhe mit einem Spritzer Melancholie voller natürlicher Schönheit macht sich breit. Zeit zum Träumen, ohne große Effekthascherei oder Melodien, die sich festsetzen. Hier zählt die zerbrechliche Stimmung und Stimme, nicht der Wunsch nach Rhythmus. Eine Feststellung, die man im Laufe der knappen Musik-Stunde immer wieder machen wird.
Auch sind viele atmosphärische Parallelen zu Ranis Debüt-Album unüberhörbar, wobei die in Berlin lebende Polin darauf verweist, dass ihre Musik ähnlich wie ein Buch zu verstehen ist, von dem nun „Home“ die Fortsetzung von „Esja“ geworden ist.
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Im Titelsong „Home“, ein Stück, das bereits aus dem Jahr 2017 stammt und mit einem Auszug aus der Kurzgeschichte „Einsamkeit“ von Bruno Schulz beginnt, geht es darum, sich nach einem verheerenden Ereignis (aus symbolhafter Sicht) ein neues Zuhause aufzubauen und HANIA RANI bemerkt dazu: „Es ist eine Komposition voller Licht und Hoffnung im Umgang mit neuen Dingen. Es ist zugleich ein Aufruf an einen Geliebten, zurückzukommen, aber die Rückkehr ist leider nicht möglich.“
Wie ein roter Faden durchzieht dieses symbolkräftige Bild das gesamte Album, genauso wie Klassik auf Moderne und Minimalismus trifft. Der Wechsel zwischen Vergangenem und Zukünftigem. Zu hören auf einem Album – das ist eine Leistung, die beeindruckt, auch wenn oftmals die Melancholie die Oberhand auf „Home“ gewinnt. Alles Andere würde im Grunde auch gar nicht zu „Home“ passen. Ein Album, das bestimmt auch dem verrückten Amadeus hinter dem Klassiker Mozart sehr zugesagt hätte.
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FAZIT: Wenn Klassik auf Moderne und ganz große Musizierkunst mit leicht melodramatischer Note und viel Klavier trifft, dann ist eine HANIA RANI nicht weit, wie „Home“ beweist. Große Kunst eben, die zu unterhalten und begeistern versteht, besonders wenn man sich mehr nach den Momenten der Stille als nach dem ganz großen Kick, der am Ende doch nur ein billiger Kack ist, sehnt.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 04.10.2020
Ziemowit Klimek
Hania Rani
Hania Rani, Ziemowit Klimek
Wojciech Warmijak
Streicher Quintett
Gondwana Records
57:38
03.07.2020