Das erste Solo-Album von James Newell Osterberg!
Mit diesem Namen hätte man sicher Schwierigkeiten gehabt, um seine Scheiben zu verkaufen, also greifen wir auf seinen Künstlernamen zurück, der dem Musik-Exzentriker sowie Oberkörper-Nudisten mit Hang zur Selbstzerfleischung zu musikalischem Weltruhm verhalf, genauso wie zu dem Spitznamen „Godfather Of Punk“ und später mit 63 Jahren die Aufnahme in der Rock And Roll Hall Of Fame sowie beim Rolling Stone Platz 75 unter den besten 100 Sängern einbrachte: IGGY POP!
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All diese Ehrungen und Auszeichnungen sowie die musikalischen Solo-Meisterwerke wären sicher nie zustande gekommen, wenn der Sänger, der als Frontmann von THE STOOGES unter Mithilfe vom VELVET UNDERGROUND-Kreativkopf JOHN CALE und DAVID BOWIE ersten Ruhm erlangte und dann in diversen Süchten abstürzte, nicht durch seinen Mentoren DAVID BOWIE vor dem endgültigen Absturz bewahrt worden wäre. Bowie begleitete IGGY POP 1976 nach West Berlin, unterstützte ihn bei seinem 1977er-Debüt-Album „The Idiot“, das nun als Deluxe-Variante, erweitert um eine zweite CD mit der Live-Aufnahme aus dem Londoner Rainbow Theatre vom 3. Juni 1977, vorliegt, und produzierte im gleichen Jahr den Nachfolger „Lust For Life“ mit dem erfolgreichsten Hit „The Passenger“. Ein Album, das ebenfalls gerade als Deluxe-Variante mit einem weiteren Live-Mitschnitt erscheint.
Natürlich werden vielen Bowie-Fans die unmittelbaren Parallelen zwischen dessen Berlin-Trilogie („Heroes“, „Low“ und „Lodger“) und „The Idiot“ auffallen. Im Grunde erweckt das Album beinahe den Eindruck, wir hätten es hier mit einem weiteren Teil der Bowie-Berlin-Ära zu tun, denn „The Idiot“ wurde nicht nur von Bowie produziert, sondern er spielt auf allen Songs Piano, Keyboard, Synthesizer, Gitarre, Saxo- sowie Xylophon und singt im Background, während IGGY POP stimmlich ganz ähnlich wie Bowie mit einem Schuss LOU REED klingt und mit „China Girl“ noch dazu ein Song vertreten ist, der später auf einer Bowie-Platte erschien und diesem jede Menge Erfolg und Hitparaden-Platzierungen bescherte.
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Klangtechnisch haut einen das doch recht dumpf abgemischte Album nicht gerade vom Hocker. Deutliche Höhen und gute oder beeindruckende Stereo-Effekte fehlen, auch wenn die Kanaltrennung im typischen 70er-Style beibehalten wurde und die Instrumente größtenteils auf entweder den rechten oder linken Kanal separiert wurden. So wird „Tiny Girls“ beispielsweise mit einem ausgiebigen von Bowie gespielten Saxophon-Solo direkt auf dem linken Kanal zu einem der Höhepunkte dieses insgesamt düsteren und recht verspielt-experimentellen Albums mit einem ziemlich extremen Schluss, der wortwörtlich im positiven Sinne etwas „Idiotisches“ hat. Das Finstere von „The Idiot“ ist ebenfalls recht schnell erklärt, denn durch den gemeinsamen Umzug von DAVID BOWIE und IGGY POP nach West-Berlin, dem (absurderweise) freien und zugleich eingemauerten Sektor in Berlin, und die intensive, in diesem Falle unmittelbar am eigenen Leibe erlebte Auseinandersetzung mit dem dort tobenden Kalten Krieg zwischen Ost und West sowie der Liebe zu einem Buch des russischen Schriftstellers FJODOR DOSTOJEWSKI, dessen Buchtitel auch als Titel für das Album diente, waren es die unangenehmen Seiten, welche diese Pop-Bowie-Kollaboration vorantrieb. Übrigens geht es in Dostojewskis Meisterwerk um einen Fürsten, der nach einem Sanatorium-Aufenthalt seiner etwas naiven und einfachen Art wegen von der Petersburger Gesellschaft belächelt und verhöhnt wird anstatt dass man ihm hilft. So verfällt er wieder in einen Krankheitszustand und rettet sich in die innere Isolation.
Das passte mehr als die Faust auf's Auge und die Musik auf's Album, wenn man IGGY POPs Abhängigkeiten und Süchte nach der Auflösung von THE STOOGES berücksichtigte!
Auch verwundert es nicht, dass sich gerade von diesem und dem nachfolgenden Album „Lust For Life“ so legendäre Musiker wie JOY DIVISION, R.E.M., NICK CAVE, NINE INCH NAILS und DEPECHE MODE inspirieren ließen. Beide strahlen eine zutiefst hypnotische Atmosphäre aus, während „The Idiot“ eine unmittelbare Nähe zu Bowies „Low“, das im gleichen Jahr erschien, erkennen lässt.
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Eine spezielle Beigabe zur „The Idiot“-Deluxe-Edition ist die zweite CD mit dem gut einstündigen Konzert aus dem Londoner Rainbow Theatre vom 7. März 1977.
Positiv ist, dass dieses Konzert erstmals auf einem Tonträger erhältlich ist. Der Sound selber kommt allerdings nur in gehobenem Bootleg-Niveau daher und sollte in erster Linie für Sammler einen hohen Mehrwert haben.
Die Doppel-CD ist in ein vierflügeliges Digipak eingebettet und enthält zusätzlich ein 20seitiges Booklet mit allen Texten und zwei Interviews, in denen Nick Rhodes von DURAN DURAN und Martin Gore von DEPECHE MODE ausführlich darüber Auskunft geben, welch immense Bedeutung „The Idiot“ für sie und ihre musikalische Entwicklung hat(te).
FAZIT: Die Deluxe-Ausgabe des 1977er-Albums „The Idiot“ von IGGY POP, das sich besonders auch durch den riesigen Einfluss von DAVID BOWIE, der als Produzent und Mitmusiker sowie Komponist die Fäden in der Hand hielt, auszeichnet, ist ein hervorragendes Solo-Debüt, das IGGY POP nach der Auflösung der STOOGES und dem Absturz in Drogen- und Alkohol-Süchte sowie den gemeinsamen Umzug mit Bowie nach West-Berlin, nach eigener Aussage das Leben rettete. Zugleich ist es durch die zweite CD mit einem bisher unveröffentlichten Konzert aus dem Jahr 1977 noch ein echtes Sammlerstück für alle, die nicht nur IGGY POP, sondern auch die Berlin-Album-Trilogie von DAVID BOWIE mögen.
PS: Unter dem Titel „The Bowie Years“ erscheint zusätzlich eine limitierte 7-CD-Box. Neben „The Idiot“ und „Lust For Life“ befindet sich in der Box eine neu gemasterte Version des Live-Albums "TV Eye", das während der Tournee 1977 in Cleveland, Chicago und Kansas City mit David Bowie an den Keyboards aufgenommen wurde. Außerdem gibt es drei CDs mit Live-Aufnahmen vom März 1977, die zum ersten Mal offiziell veröffentlicht werden: "Live at The Rainbow Theatre, London", "Live at The Agora, Cleveland" und "Live at Mantra Studio, Chicago". Eine weitere CD bietet Demoaufnahmen und Raritäten. Das Set enthält auch ein 40-seitiges Booklet mit Beiträgen der Musiker, die an den Alben mitarbeiteten, und berühmten Fans, die über den Einfluss diskutieren, den die Alben auf sie ausgeübt haben. Hier die Auflistung aller Songs:
<b>DISC ONE (The Idiot)</b>
1. Sister Midnight
2. Nightclubbing
3. Funtime
4. Baby
5. China Girl
6. Dum Dum Boys
7. Tiny Girls
8. Mass Production
<b>DISC TWO (Lust For Life)</b>
1. Lust for Life
2. Sixteen
3. Some Weird Sin
4. The Passenger
5. Tonight
6. Success
7. Turn Blue
8. Neighbourhood Threat
9. Fall in Love with Me
<b>DISC THREE (TV Eye Live)</b>
1. T.V. Eye
2. Funtime
3. Sixteen
4. I Got A Right
5. Lust for Life
6. Dirt
7. Nightclubbing
8. I Wanna Be Your Dog
<b>DISC FOUR (Demo's and Rarities)</b>
1. Sister Midnight - Mono Single Edit
2. Sister Midnight - Single Edit
3. China Girl - Single Edit
4. Dum Dum Boys - Alt Mix
5. Baby - Alt Mix
6. China Girl - Alt Mix
7. Tiny Girls - Alt Mix
8. I Got A Right - Single
9. Lust for Life - Edit
10. Interview with Iggy about Recording the Idiot
<b>DISC FIVE (Rainbow Theatre - Finsbury Park, London 07/03/1977)</b>
1. Raw Power
2. TV Eye
3. Dirt
4. 1969
5. Turn Blue
6. Funtime
7. Gimme Danger
8. No Fun
9. Sister Midnight
10. I Need Somebody
11. Search and Destroy
12. I Wanna Be Your Dog
13. Tonight
14. Some Weird Sin
15. China Girl
<b>DISC SIX (Agora Cleverland 21/03/1977)</b>
1. Raw Power
2. TV Eye
3. Dirt
4. 1969
5. Turn Blue
6. Funtime
7. Gimme Danger
8. No Fun
9. Sister Midnight
10. I Need Somebody
11. Search and Destroy
12. I Wanna Be Your Dog
13. China Girl
<b>DISC SEVEN (Mantra Studios, Chicago 28/03/1977)</b>
1. Raw Power
2. TV Eye
3. Dirt
4. Turn Blue
5. Funtime
6. Gimme Danger
7. No Fun
8. Sister Midnight
9. I Need Somebody
10. Search and Destroy
11. I Wanna Be Your Dog
12. China Girl
Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.05.2020
Laurent Thibault, George Murray
Iggy Pop
David Bowie, Carlos Alomar, Phil Palmer
David Bowie
Dennis Davis, Michael Santangeli
David Bowie (Saxophon, Xylophon, Background Vocals)
Universal Music Catalogue
104:04
29.05.2020