Seit 2006 schlägt Harakiri-For-The-Sky-Frontmann J.J. mit seinem mehr-oder-weniger-Soloprojekt in die Kerbe des sogenannten Atmospheric Black Metal, ohne über eine kleine Szeneblase hinaus zur Kenntnis genommen zu werden, was wahrscheinlich an der bisher zu klischierten Anmutung seiner Musik und vor allem dem damit einhergehenden Themenspektrum liegt.
Die düstere Seite des Menschseins - immerzu melodramatisch bis grenzwertig larmoyant zum Ausdruck gebracht - bleibt auch auf KARGs jüngstem Longplayer sein Steckenpferd. Die in weniger als einem halben Jahr vom Songwriting bis zur Gestaltung des Artworks abgewickelte Veröffentlichung wirkt allerdings vermutlich auch deshalb wie ein Höhepunkt der bisherigen Diskografie, weil J.J. privat am Rande eines Totalzusammenbruchs mehrerer Bereiche seines Lebens stand. Das während andauernder Reisen komponierte Material strahlt demnach eine latente Dringlichkeit aus, die das Pathos der hervorgehobenen Emotionalität erträglicher (und glaubwürdiger) denn je macht.
Die Schlagzeugparts dachten sich abgesehen von KARGs offensichtlich festem zweiten Mitglied Paul Färber dessen Kollegen Mischa Radivojevic, M.S. und Julian Huemer aus. Gemeinsam mit ihnen, Geigerin Klara Bachmair in drei Tracks sowie den Gastsängern Purch (Instant Karma) Bernhard Zieher (Weltenbrandt) in 'Stolperkenotaphe' und 'Abgrunddialektik' respektive 'Jahr ohne Sommer' hat J.J. ein trotz überlanger Songs in sich rundes, überschau- bzw. leicht fassbares Album zustande gebracht, mit dem er zwar nur zu Bekehrten predigt, sich aber so eindeutig wie nie zuvor als auf seinem Feld starker Songwriter beweist.
Seine manisch-depressive Episoden spiegeln sich in der Musik wider, mit der J.J. erstmals sehr deutliche Einflüsse aus dem jüngeren Shoegaze und Wave der frühen 1980er geltend macht. Das passt hervorragend zum himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübten Flair der Stücke. Emo-Black klang schon oft wesentlich weniger ersprießlich … Jammerlappen-Lyrik zwischen Selbstmordgedanken und Herzschmerz hin, allzu vertraute Stilmittel aus dem aus dem Post Black Metal und sogar US-amerikanischen Alternative Rock vom Beginn der 90er her: "Traktat" sollte man als Freund extremer Kost im weiteren Sinn wenigstens gehört haben.
FAZIT: Mit "Traktat" schließt KARG eine Trilogie von Alben (“Weltenasche” zuletzt vor zwei Jahren "Dornenvögel" waren die ersten beiden Teile) auf dem Zenit seines Schaffens ab. Einzelkämpfer J.J. tut gut daran, das Projekt zu einer festen und regelmäßig tourenden Band umzumodeln, denn seine derzeitige Musik drängt sich geradezu für Live-Einsätze auf - gerade im ansonsten eher nicht für eindrucksvolle Konzerte bekannten Depri-Black-Metal. Die Vinyl-Variante und ein Boxset enthalten übrigens als Dreingabe 'Nichts als Schatten', ein hörenswertes eingedeutsches Cover von Kult-Barde Bonnie Prince Billys Standard 'I See A Darkness'. <img src="http://vg01.met.vgwort.de/na/ed1588651a404ba4b9029c650cc6524e" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.02.2020
AOP Records / Edel
76:23
07.02.2020