KASIMIR EFFEKT aus Hannover stellen einen Musikkritiker tatsächlich vor das große Einordnungsproblem…
...aber klar doch will man, wenn man ein Album auflegt, gewisse Bezugspunkte haben, um einerseits als Mitglied der schreibenden Zunft zu beweisen, wie viel Fachverstand man doch von Musik hat und andererseits um den Lesern, die vielleicht zukünftige Hörer und Käufer des besprochenen Albums werden könnten, eine relativ klare Richtlinie vorzugeben. „KFX“ sollte man diesbezüglich doch besser aus der Sicht einer Ausschluss-Perspektive betrachten. Also – alle, die Retrorockiges, Songwriteriges, Folkiges, Schlagriges oder Mainstreamradiotrauriges (zu gut Deutsch: Radio-Äther-Scheiße in Endlosschleife) erhoffen und erwarten, brauchen ab hier nicht mehr weiterzulesen, denn „KFX“ von KASIMIR EFFEKT ist nichts für euch, außer ein krachender, zwischen zwei Arschbacken – die eine heißt Elektronisches, die andere Akustisches – verklemmter, sogar techno-wallender Pups.
Alle Anderen aber, die unter musikalischen Fürzen auch frische Winde zwischen Dance, Prog, Electro, Techno, Psyche und sonstwas verstehen und noch dazu Bands wie APHEX TWIN, ORB und DAFT PUNK (Puhhhh, zum Glück doch noch eine gewisse Vergleichsgröße gefunden!) lieben, die werden hier einem gigantischen Kracher lauschen dürfen, der besonders als grünvinylige Mega-Sound-LP super kommt, auch weil alles, was auf „KFX“ passiert, die „The Other“-Side of our Club-, Dance- & Techno-Life ist, selbst wenn sie uns in einigen Momenten an diese (irgendwie letzten Endes doch manchmal ziemlich eintönige) Vergangenheit erinnert.
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Oder um es mit den aussagekräftigen Worten der Elektro-Formation aus Hannover auszudrücken: „Ausgehend vom Vakuum der Stille entwickelt die Band einen Mikrokosmos der fluktuierenden Beats, technoiden Improvisationen und loungigen Klangminiaturen.“
Schon dass KASIMIR EFFEKT auf ihrer sehr ansprechend gestalteten LP-Ausgabe für sich einfordern, dass wir es hier mit einem Space-Cover für Space-Vinyl zu tun haben, weckt krautrockige Erinnerungen genauso wie das grüngesprenkelte Vinyl, das man der Space-Plattenhülle entnimmt und das sich sehr ansehnlich auf jedem Plattenteller ausmacht. Im besten Sinne elektronisch-akustisch-experimentell verkrautet ist dann auch die Musik zwischen den Rillen, die uns von „KFX“ entgegendonnert und gleich zu Beginn erst einmal für ein paar finstere Kontrabass-Sekunden lang mit „Post Dance Depression“ die Stimmung drückt, bis sie kurz darauf mit einer schönen Piano-Melodie beginnend immer mehr an Fahrt aufnimmt. Dann aber sind die tiefen Bass-Beats dran, die mit flirrenden, zärtlichen, hohen Jazz-Tönen sich wiederholende Dance-Rhythmen einleiten.
„M“ dagegen setzt deutlich mehr auf Bass'n'Drum- und Techno-Klang über den akustische Percussion gelegt werden, welche die tieftönende Stimmung auflockern. Ein überraschender Ambient-Stimmungswechsel mit spielerischer Krautrock-Schlagseite gibt urplötzlich im gleichen Stück eine völlig neue Richtung vor, die sich in hymnische Höhen erhebt und gar der Berliner TANGERINE DREAM-Schule huldigt.
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Trotz all dieser Stimmungswechsel und Richtungsschwankungen verlieren KASIMIR EFFEKT in ihrer Musik nie den Aspekt der Tanzbarkeit aus den Augen. Selbst bei der Love-Parade – so diese irgendwann mal wieder zum Leben erweckt wird – wären die Hannoveraner mit ihrem elektro-akustischen Dance-Gemisch ein echter Hinhörer und garantierter Volltreffer, bei dem man neben den vielen nackten Körpern auch durchaus auf besonders offene Ohren treffen sollte.
Die absolute Stärke von KASIMIR EFFEKT sind im kasimirschen Endeffekt (Das musste sein!) die bunte Mischung aus vordergründigen Dance- und Techno-Sounds, denen akustische Instrumente eine warme, abwechslungsreiche Komponente verleihen. Kein schreckliches, eintöniges, ausschließlich computerprogrammiertes Techno-Gewummer, sondern die Kombination mit Kontrabass, Fender Rhodes und Schlagzeug, die sich mit moderner Elektronik zu einem „handgespielten Analogsound“ entfalten, setzen KASIMIR EFFEKT effektvoll auch live in Szene. Nicht nur zum Tanzen, sondern auch Zuhören und Genießen gedacht. Und selbst live ein echtes Erlebnis, wofür noch nicht einmal wild-stroboskopische Dance-Club-Flackereien notwendig sind.
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FAZIT: Das hannoversche Elektro-Dance-Akustik-Trio KASIMIR EFFEKT überrascht auf seinem Debüt „KFX“, dessen ganze Schönheit besonders auf der grünen Vinyl-Variante zum Ausdruck kommt, mit einer experimentellen Mischung von Electro-Dance-Beats mit Kontrabass, Fender Rhodes und Schlagzeug. Hochexplosiv, hochinteressant und jenseits jeglicher dröhnenden Techno-Monotonie. Funktionierender und fusionierender Dance-Krautrock!
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 17.05.2020
Johannes Keller
Julius Martinek
Tobias Decker
Quadratisch Records
41:26
21.02.2020