Wer angesichts der Ankündigung Angst hatte, LONG DISTANCE CALLING klängen neuerdings elektronischer denn je, darf sich beruhigt wissen: Das siebte Album der Ausnahme-Bande ist schlicht und ergreifend die Manifestation einer andauernden Entwicklung, die keinen Fan des Quartetts verpressen dürfte.
Unabhängig davon ist die Platte besonders reizvoll, weil sie im Zeichen des technischen Fortschritts steht; LONG DISTANCE CALLING opponieren die Fackelträger des Menschseins mit der A..I.-Bewegung, ohne sich auf dieser oder jener Seite zu positionieren, und regen somit zum Nachdenken darüber an, wie wir - tatsächlich - in Zukunft leben wollen.
Die Münsteraner wären allerdings nicht sie selbst, wenn man ihre Musik nicht von thematischen Synergie-Effekten entkoppelt genießen könnte. "How Do We Want To Live?" macht es dem Hörer ziemlich leicht, denn ungeachtet der inhaltlichen Schwere habt die Band nicht vergessen, worauf es am Ende des Tages ankommt: starke Songs.
Das stampfende 'Curiosity' (im Intro mit gesampelten Zitaten von u.a. Bill Nye) lässt bereits mit Slide-Gitarren-artigen Leads aufhorchen, und ungleich leichtfüßiger als diese Einleitung pulsieren insbesondere die erste Hälfte von 'Sharing Thoughts' sowie 'Hazard', das mit für die Band charakteristisch verträumtem Klingklang und Fetzen von Aussagen des Wissenschaftsautors Stuart Armstrong ausgestattet ist; diese spiegeln wider, wie viel Literatur bzw. Popkultur (von Terry Pratchett bis zu "Matrix") die Band im Vorfeld gesichtet hat, um sich inspirieren zu lassen.
Dementsprechend "wortgewaltig" respektive aussagekräftig ist "How Do We Want To Live?" auch im Vergleich zum großen Restangebot rein instrumentaler Rockmusik, womit LONG DISTANCE CALLING nichts weniger tun, als ihren unantastbaren Status in diesem Bereich zu unterstreichen.
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'Voices'kommt mit technoidem Bass und in einer Schleife ablaufendem Gesäusel als tragendem Element verhältnismäßig experimentell daher, wurde aber über sieben Minuten hinweg auf jeden Fall etwas zu lang ausgerollt und ist das Lowlight der Scheibe. 'Beyond Your Limits' - eingeleitet von O-Tönen des Schriftstellers Neal Shusterman - pflegt LONG DISTANCE FALLINGs Brauch, zumindest in einem Lied Raum für Gesangslinien zu gewähren; der Göttinger Eric A. Pulverich, dessen Band Kyles Tolone übrigens entdeckenswert ist, veredelt den Track mit seiner leise an Phil Collins gemahnenden Stimme, doch der Höhepunkt des Albums befindet sich woanders.
Das wuchtige 'Immunity' markiert neben Teilen des erwähnten Openers den wuchtigsten Moment, und das kurze 'Fail / Opportunity' wäre fast nur ein Zwischenspiel, würde das vordergründige Cello keine Gänsehaut erzeugen. Zwischendurch flattern Synthesizer-Fahnen, und nachdem das bedrohliche 'True / Negative' das Finale 'Ashes' vorbereitet hat, klingt die LP mit ruhig wehmütigem Unterton aus.
FAZIT: "How Do We Want To Live?" ist LONG DISTANCE CALLINGs ausgewogenstes Werk und zugleich mit frischen Ansätzen gespickt, die der Gruppe jedoch kein gänzlich neues Gesicht verleihen, sondern schlicht im Zeichen einer fortlaufenden Entwicklung zu verstehen sind. <img src="http://vg01.met.vgwort.de/na/bc0a0b2b0dc647389da649f9787a5ced" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 19.06.2020
Inside Out / Sony
52:45
26.06.2020