<b>„These are songs of their time … and for all time. They are Classic Diamonds.“</b> (Begleittext zum Album)
Um die Weihnachtszeit herum scheinen Alben von altbekannten, erfolgreichen Musikern, die sich mit ihren Hits in klassische Gefilde bewegen, indem man Songs neu mit Orchesterbegleitung einspielt, echt in Mode zu kommen. Egal, ob die Musiker längst verstorben sind, wie JOHNNY CASH, ROY ORBISON oder ELVIS, oder sich noch bester Gesundheit erfreuen – sieht man mal von den altersbedingten Zipperlein ab, so wie bei NEIL DIAMOND, der mit „Classic Diamonds – with The London Symphony Orchestra“ gerade seine größten Hits mit Orchesterbegleitung aufnahm.
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Der 79jährige NEIL DIAMOND zählt seit über 50 Jahren zu den einflussreichsten Künstlern der Musikszene, der jede Menge Evergreens beisteuerte und unter anderem mit dem großartigen Soundtrack zur Möwe „Jonathan Livingston Seagull“, der erfolgreicher als der eigentliche Film dazu war, im Jahr 1973 eine der bewegendsten Filmmusiken schuf, bei der er ebenfalls von einem Symphonie-Orchester begleitet wurde und völlig zurecht 1974 einen Grammy einheimste.
Nun also kündigt sogar der Capitol-Chef Steve Barnett persönlich mit leidenschaftlichen Worten dieses orchestrale Hitaufguss-Album mit folgenden Worten an: „Neil Diamond ist einfach einer der wichtigsten Sänger und Songwriter in der Geschichte der populären Musik, und dieses majestätische neue Album wirft ein wunderschönes Licht auf einige seiner größten Werke. 'Classic Diamonds' ist eine glorreiche Ergänzung zu Neils Gesamtwerk, und wir sind stolz darauf, es Hörern auf der ganzen Welt zu präsentieren."
Der Stolz wird sich nicht nur um den Musiker und dessen Musik, sondern wahrscheinlich auch seiner profitablen Aura für das Label wegen, das „Classic Diamonds – with The London Symphony Orchestra“ in ganz unterschiedlichen Formaten – als Doppel-LP, CD, Deluxe-CD (die sich von der CD nur durch die Verpackung, nicht aber die Songtitel unterscheidet) und Digitaler Download – präsentiert, erstrecken. Und im Grunde ist das ja auch nichts Schlechtes und wird viele Diamond-Fans, die nun den breiten diamondschen Klassik-Bombast genießen dürfen, sehr erfreuen. Denn dass trotz dieser ausgeleierten Idee von Hit trifft auf Klassik viel Leidenschaft und Freude in dieses Album gesteckt wurde, ist nicht zu leugnen.
Sehr informativ sind auch die bedruckten Innenhüllen, die sich im Gatefold-Cover befinden und in denen neben einigen Fotos auch alle beteiligten Musiker (allein 106 Mitglieder des London Symphony Orchestra) namentlich aufgeführt sind und zu der Idee hinter dem Album sowie zu jedem einzelnen Song wichtige Hintergründe zu erfahren sind – beispielsweise dass die Grundlage für „Song Sung Blue“ der 2. Moment aus Mozarts 21. Pianokonzert ist oder dass „I Am...I Said“ eins von Diamonds persönlichsten Liedern ist.
„Classic Diamonds“ wurde gleichzeitig in den legendären Londoner Abbey Road Studios sowie in Diamonds eigenem New Yorker Studio aufgenommen und selbstverständlich sang NEIL DIAMOND, der sich seit seiner 2018 diagnostizierten Parkinson-Krankheit von der Bühne zurückgezogen hatte, alle seine auf dem Album enthaltenen 14 Hits, die einen großen Bogen von den Spätsechzigern bis in die Achtziger hinein (Neueres ist nicht zu hören, was im Grunde gerade bei solcher Orchestrierung sehr schade ist!) schlagen, neu ein. Das verleiht den „Classic Diamonds“ einen echten Reiz, denn nicht das Orchester tritt – wie bei ähnlichen Alben sehr häufig – in den Hintergrund, sondern agiert unmittelbar mit dem Sänger auf einer Ebene und lässt die altbekannten Song oftmals tatsächlich in einem völlig neuen Licht erscheinen. Die Songs werden so nicht erneut zu Radio-Hits, sondern zu purem Klassik-Pop, der die E- und U-Ebene bombastisch, aber auch mit einem leichten Hang zu pathetischen Schmalz, vereint. Auch wurden eine Vielzahl der Songs deutlich „verlangsamt“, was besonders auffällig bei „I'm A Believer“, „Sweet Caroline“ und „Song Sung Blue“ zum Ausdruck kommt. Das führt zugleich dazu, dass die klassischen Versionen von „Classic Diamonds“ oft länger als die Original-Hits sind.
Dass allerdings kein einziger Song von „Jonathan Livingston Seagull“ auf dem Album enthalten ist, enttäuscht auf ganzer Linie, gerade weil Diamond auch Songs aus anderen Filmen verwendet und sich die eine oder andere Nummer, wie „America“ oder „Play Me“, durchaus zugunsten von „Be“ oder „Prologue“ und „Lonely Looking Sky“ hätte sparen können.
Auch dass bei „You Don't Bring Me Flowers“, der Song über ein älteres Ehepaar, welches nach Jahren des gemeinsamen Zusammenlebens feststellt, dass ihre Beziehung sich zur reinen Routine abgenutzt hat, eine weibliche Duett-Partnerin fehlt – es muss ja nicht unbedingt erneut BARBARA STREISAND sein – ist schade. Hier verliert die klassische Interpretation gegenüber dem Duett-Original. Dafür darf man aber auf "September Morn" Diamonds guten Freund STEVIE WONDER mit einem Mundharmonika-Solo erleben.
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FAZIT: Wenn man bereits mehr als 130 Millionen Alben verkauft und so etwa gefühlt alle Musik-Ehrungen abgeräumt hat sowie Mitglied der Rock & Roll Hall Of Fame sowie der Songwriters Hall Of Fame ist, gilt man rundum als ein echter Klassiker – so wie NEIL DIAMOND. Was liegt einem da nicht näher, seine größten Hits auch mit einem klassischen Orchester neu einzuspielen und einzusingen? Gesagt, getan – hier kommt mit „Classic Diamonds – with The London Symphony Orchestra“ eine beeindruckende Retrospektive der 14 größten NEIL DIAMOND-Hits im klassischen Gewand.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 09.12.2020
Nathan East
Neil Diamond
Dean Parks, Leonardo Amuedo
Vinnie Colaiuta, Rafael Padilla
London Symphony Orchestra (insgesamt 106 Musiker) unter Leitung von William Ross und Mario de Sa, Stevie Wonder (Mundharmonika)
Capitol Records/Universal Music
59:36
20.11.2020